: „Mitleidlose Forschung“
GESCHICHTE Eduard Arning gilt als renommierter Lepra-Experte – doch seine Biografie hat Risse
■ ehemalige Studiendirektorin, Historikerin und Uni-Dozentin, hat sich auf Medizingeschichte spezialisiert.
taz: Frau Meyer-Lenz, Sie sprechen heute über den Hamburger Arzt Eduard Arning. Wer war das?
Meyer-Lenz: Arning forschte Ende des 19. Jahrhunderts auf Hawaii, wo Lepra seit der Entdeckung der Insel durch James Cook wütete, weil die Einheimischen keinerlei Abwehrkräfte gegen die Krankheit besaßen. Arning sah hier ein wunderbares Forschungsfeld. 1884 führte er ein Experiment durch, das ethisch hoch zweifelhaft war: Er implantierte einem Hawaiianer die Haut eines leprakranken Mädchens, um die Krankheit zu studieren. Wir kennen nur seinen Vornamen: Keanu. Arning nahm Keanus Tod in Kauf. Ein Human-Experiment, vorgenommen an einem Nicht-Deutschen. Typisch für die Epoche.
Nimmt das Aring nicht auch ein Stück Schuld? Er war Kind seiner Zeit.
Ja, auch in Deutschland gab es damals Lebendversuche an Menschen, oft an marginalisierten Gruppen: Kriminalisierten, Obdachlosen, Huren. Keanu war wegen Mordes zum Tode verurteilt worden, aber unter zweifelhaften Umständen und eignete sich in den Augen Arnings gut, weil er Hawaiianer war und aus europäischer Sicht deshalb nicht so viel wert. In seinen Aufzeichnungen beschreibt Arning Keanu als „taub, stumm und dumm“. Das ist mitleidlose Forschung: Man probiert an einem Menschen etwas aus, um tausende zu retten. Es bleibt aber eine Verletzung der Menschenwürde. Da ist die Frage, darf es sein?
Darf es?
Ich würde sagen, der Proband muss bei medizinischen Versuchen immer freiwillig zustimmen, auf Augenhöhe. Und er muss genau informiert sein über die Art und Weise, wie der Versuch vor sich geht.
Wie ist der Blick auf Arning heute?
In Deutschland wird er nach wie vor als Lepra-Spezialist gefeiert. Gerade deshalb ist es wichtig, dass man auf solche Risse in der Biografie hinweist. Auf Hawaii wird aber Keanu seit ungefähr zehn Jahren als Held wiederentdeckt, die Geschichte der Lepra-Kranken wird dort neu verhandelt. Auf der Insel Moloka’i, wo früher die Leprakranken isoliert wurden, gibt es einen historischen Nationalpark und eine Grabstätte, wo die Einwohner ihre toten Vorfahren ehren können. INTERVIEW: ETH
Vortrag: „Grenzverschiebungen. Zum Spannungsfeld von Medizin und Ethik. Menschenbilder in der Hamburger Medizin im 19. und 20. Jahrhundert. Ausgewählte Beispiele“: 16.15 Uhr, Edmund-Siemers-Allee 1, Hörsaal J