ausgehen und rumstehen : Überall ist Veränderung: Im NKZ-Themenpark
Am Wochenende stellte die planetarische Konstellation ganz besondere Anforderungen an die Ausgeher- und Rumsteherin. Befand man sich Freitag nacht doch exakt zwischen Vollmond und Mondfinsternis – eine astronomisch einmalige Situation, die in Westeuropa nur alle 320 Jahre vorkommt. Das heißt erst einmal: Keine Experimente beim Ausgehen – Übersichtlichkeit bewahren, lange Wege vermeiden, damit die Ausgehgruppe nicht durch die dunkle Kraft des Mondes versprengt wird. Also auf zum NKZ-Themenpark, denn das weitläufige halbkreisförmige Areal am Kottbusser Tor, auch als Forum Kreuzberg und Kreuzberg Merkezi bekannt, bietet auf kleinstem Raum alles, was man in einer Ausgehnacht so braucht.
Für den Anfang bietet sich das beliebte Möbel Olfe an, in der freundlichen Trinkhalle am Kottbusser Tor lässt sich leicht eine solide Grundlage für die kommende Nacht schaffen. Dann geht es weiter zum „Erlebnisplatau“, man beachte die exzentrische Schreibweise. In den seitlich vorgelagerten zweigeschossigen Gewerbebauten findet sich seit ein paar Wochen eine „Blumenpassage“, geschaffen nach einem Vorbild aus dem Istanbuler Stadtteil Beyoglu. Leider sehen die meisten der 20 türkischen Cafés, Restaurants und Stände wie ausgestorben aus, ein paar einsame Männer sitzen an Tischen und trinken Tee. Das ganze Ensemble wirkt wie eine thematische Autobahnraststätte Türkei, und der Geist des ehemaligen Obi-Baumarktes hängt noch in allen Ritzen.
Man will es dem tapferen Investor der „Blumenpassage“ nicht wünschen, falls aber das ganze Konzept doch nicht aufgeht, könnte man die Passage noch ein Weilchen weiter vor sich hin bröckeln lassen und hier dann doch noch das Kreuzberger Nachtkaufhaus oder einen weiteren NKZ -Club eröffnen. Über eine einstmals futuristische Treppenkonstruktion, die berühmte Galatabrücke, überquert man die Adalbertstraße und kommt über verwegene Treppenhäuser ins West Germany. Hier ist alles so hübsch wie immer: Die Kacheln platzen von den Wänden, Kabel hängen von der Decke herunter, auf der Bühne spielt Schneider Tm seine schönen Lieder und still steht dazu der Vollmond über der mauerverbauten Eigene-Gefahr-Aussichtsterrasse. Aber wir müssen immer weiter, wieder eher ins Innere der 70er-Jahre-Bausünde. Gespannt hatte man hier auf die Eröffnung des „Monarch“ gewartet, aber die wurde aus produktionstechnischen Gründen verschoben.
So flaniert man ein wenig durch die Innenpassagen und bestaunt die interessante Architektur im Wandel der Zeit. Überall ist Veränderung: Wo vorher Urologen ihr Geschäft verrichteten, sind jetzt Siebdruckwerkstätten entstanden. „Ist das jetzt schon Gentrification?“, fragt sich die kritische Städtebewohnerin da. Und wie lange dauert es dann, bis der erste Starbucks am Kotti aufmacht? Also genießen wir das Biotop NKZ noch, solange es lebt!
In der Paloma Bar mit ihren schrägen Fensterscheiben und dem pittoresken Blick zur Hochbahn tanzen noch Menschen, aber der Vollmond zieht uns wieder hinaus, zum Herz des NKZ, dem Imbiss unter den Brückenpfeilern. Hier herrscht auch um 5 Uhr morgens noch ein munteres Kommen und Gehen. Hier kann man historische 80er-Jahre-Punks beim Suppenessen beobachten und zum ersten Mal seit Jahren wieder einmal original Nescafé trinken. Muntere Schnorrer wollen alles umsonst, rufen neckische Parolen und zahlen dann doch. Herrlich lebensnahe Dialoge lassen sich belauschen: „Ey, kann ich mich zu euch setzen?“ „Wenn du die Klappe hältst.“ „Ja,ich muss mich nur übergeben.“ Das ist unser Kotti wie wir ihn kennen!
Und so geht auch die gefährliche Vollmondnacht vor der Mofi im Schutze des Neuen Kreuzberger Zentrums friedlich zu Ende.
CHRISTIANE RÖSINGER