: Neue deutsche Volksmusik
Alles ist verloren. Ist alles schon verloren? Bands wie die 17 Hippies oder Binder & Kriglstein erfinden eine neue Folklore in deutscher Sprache. Andere versuchen, dem zu Tode verkitschten deutschen Liedgut neues Leben einzuhauchen
VON DANIEL BAX
Dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt, dieses Sprichwort schien lange Zeit nur allzu gut auf die 17 Hippies zu passen. Während ihr innovativer Gemischtwarenladen aus osteuropäischem Folk, französischem Chanson und deutschem Wohngemeinschaftscharakter im Nachbarland Frankreich schon als „Berlin Style“ gefeiert wurde, brauchte man in der Heimat etwas länger, um auf das Phänomen in der eigenen Hauptstadt aufmerksam zu werden.
Erst der Erfolg des Films „Halbe Treppe“, zu dem sie den Soundtrack beisteuerten und in dem sie selbst mitwirkten, befreite die 17 Hippies vom Ruf eines ewigen Geheimtipps. Es lag sicher auch an den öfters wechselnden Besetzungen und einer gewissen zur Schau getragenen Unprofessionalität, welche anfangs verhinderten, dass den 17 Hippies gleich in den ersten Jahren ihrer Karriere die ganz große Aufmerksamkeit zuteil wurde.
Ihr neues Album, „Heimlich“, ist erst das zweite, das regulär im Studio entstand (das erste erschien mit „Ifni“ 2004). Die übrigen sechs Veröffentlichungen sind allesamt Live-Mitschnitte oder Seitenprojekte wie Soundtracks und Kollaborationen. Doch von Hobby-Charme kann keine Rede mehr sein: Heute sind die 17 Hippies ein gut geölter Familienbetrieb, der weltweit auf Reisen geht und über eigenes Label, Management und Verlag verfügt. Das 13-köpfige Ensemble gibt über 1.000 Konzerte im Jahr und ist selbst in Japan ein gefragter Exportartikel.
Gerade waren sie mit „Heimlich“ auf Tournee – erst in Frankreich, dann in Deutschland. Obwohl auch das neue Album wieder von Einflüssen aus allen Weltteilen wimmelt, macht es doch einen sehr kompakten Eindruck. Im rasanten Eröffnungsstück „Schattenmann“ liefern sich Ukulele und Kontrabass ein Duell mit Piccoloflöten und Geigen: Es klingt, als hätte sich Element of Crime auf eine rumänische Hochzeit verirrt. Das Instrumentengewimmel folgt zum Glück immer einer klaren Songidee. Beim „Moving Song“ treffen indische Motive auf amerikanische Südstaaten-Folklore, während die Maultrommel den Weg weist. Und die eingängige Banjo-Melodie von „Tick Tack“ wiederum erinnert aus der Ferne an Manu Chao.
An dessen reduzierte Songideen kann sich auch erinnert fühlen, wer das Album „Alles verloren“ von Binder & Krieglstein hört. Hinter diesem Namen verbirgt sich kein Duo, sondern ganz allein der österreichische Musiker Rainer Binder-Krieglstein aus Graz. Sein Künstlername ist lediglich ein ironischer Seitenhieb auf die Marotte seiner Wiener DJ-Kollegen, unter solchen Namenskombinationen aufzutreten. Dass er selbst einem verarmten Adelsgeschlecht entstammt, darauf verweist das (echte) Familienwappen auf seinem CD-Cover.
Auch sonst bewegt er sich außerhalb eingefahrener Spuren. Für seine elektronischen Dub- und Downbeat-Kompositionen nimmt er gern Anleihen bei Volksmusik und Balkanklängen; darin dürfte ihn auch sein Produzent, DJ Shantel, bestärkt haben. Kombiniert mit sprachlichen Dada-Lyrics, entfaltet das seinen ganz eigenen Witz.
Die einen erfinden sich eine neue Folklore in deutscher Sprache. Andere versuchen gar, längst zu Tode verkitschtem deutschem Liedgut neues Leben einzuhauchen. Die Sängerin Bobo (einst Bobo in White Wooden Houses) etwa singt Lieder wie „Es waren zwei Königskinder“ als morbide Gothic-Balladen; Ähnliches hat schon Meret Becker getan. Etwas origineller ist der Ansatz des Brasilianers Jorge Degas und des Deutschen Andreas Weiser: Sie haben deutsche Volkslieder wie „Heideröschen“ in Bossa-Nova-Versionen überführt – ein klarer Fall von Kulturtransfer.
17 Hippies: „Heimlich“ (Hipster); Binder & Krieglstein: „Alles verloren“ (Essay); Bobo: „Liebe von Liebe und Tod“ (Traumton); Degas/Weiser: „Heimat – von fern so nah“ (Piranha)