piwik no script img

Gipsymania!

Es war einmal in Osteuropa: Roma-Kapellen feuern das Revival der Balkan-Musik an. Mit Balkan-Partys und DJ-Remixen geht der Boom jetzt schon in die zweite Runde

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war „Zigeunermusik“ im östlichen Europa ein allgegenwärtiger Klang. In den Kaffeehäusern und Kneipen von Wien, Prag und Budapest boten fiedelnde Zigeunerkapellen ein gewohntes Bild. In der K.-und-k.-Monarchie von Österreich-Ungarn wie auch im Russischen Zarenreich gehörten sie quasi zum Inventar, und ihre romantischen Melodien inspirierten Komponisten wie Listz, Strauß und Bartók zu Opern und Operetten. So wurden sie zum Symbol für osteuropäische Musik überhaupt. Doch dann kam der Zweite Weltkrieg, und die Verfolgungen der Nazizeit setzten ein. Und weil auch die Bolschewiken die romantische „Zigeunermusik“ als „bourgeoise Kunstform“ verteufelten, wurde es bald ziemlich still um sie.

Seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks aber hat die Musik der Sinti und Roma ein erstaunliches Revival erlebt und ist wieder zum musikalischen Erkennungszeichen der Region aufgestiegen. Nachdem Regisseure wie Emir Kusturica („Time of the Gypsies“) oder der Franzose Tony Gatlif („Gadjo Dilo“) den Weg bereitet hatten, machten sich die ersten Roma-Bands auf den Weg nach Westen: Anarchische Blaskapellen wie die rumänische Fanfare Ciocarlia, die auf ihrem neuen Album „Queens and Kings“ gerade eine Art „Best of“ ihrer Karriere abgeliefert haben; Virtuosen an Geige und Akkordeon wie das rumänische Mehrgenerationen-Ensemble Taraf de Haïdouks, die vor ihrer Entdeckung durch westliche Produzenten ein eher beschauliches Dasein fristeten; aber auch berühmte Roma-Stars wie Esma Redzepova, die schon in Titos Jugoslawien als nationale Größe gefeiert wurde.

All das lässt sich unter dem altmodischen Sammelbegriff „Zigeunermusik“ fassen. Das Wort steht für kein einheitliches Genre und auch keinen bestimmten Stil. Es bezeichnet bestenfalls eine bestimmte, von Fans gerne als „feurig“ gerühmte Art des Spielens, die Roma-Musikern nachgesagt wird. Dass Roma die besten Musiker der Region seien, gilt auf dem Balkan als Allgemeingut und ist weit mehr als ein freundliches Klischee. Weil Roma in vielen Berufssparten diskriminiert wurden, fanden sie auf dem Balkan von jeher eben als Musiker auf Hochzeiten, Trauerfeiern und Dorffesten aller Art ein Auskommen. So kommt es, dass die Musik Osteuropas bis heute so stark von ihnen geprägt wird.

Die regionalen Unterschiede der „Zigeunermusik“ Osteuropas sind allerdings beträchtlich: In Serbien, Mazedonien und Moldawien dominieren Blaskapellen, die mit Trompeten, Posaunen und Klarinetten aus allen Rohren pusten. Die Ursprünge dieser Musik reichen bis in jene Zeit zurück, als fast der gesamte Balkan unter türkischer Herrschaft stand und die Heere des osmanischen Sultans bis Wien vorrückten. In Rumänien dagegen lebt die Tradition der „lautari“ fort, die von Geige, Zimbel, Kontrabass und Akkordeon getragen wird. In den Moritaten und Balladen bewahren diese Bänkelsänger das alte, nur mündlich überlieferte Erbe ihres Volkes.

Doch die Roma-Bands belassen es nicht bei der Traditionspflege: Sie sind Allround-Entertainer, die auch aktuelle Hits und so manches Zitat aus der weiten Welt der Popmusik in ihr Repertoire zu mischen wissen. Im Gepäck der Fanfare Ciocarlia findet sich auch die Titelmelodie der James-Bond-Filme wieder, durch Tuba und Trompete eigenwillig intoniert. Die Konkurrenz vom Kocani-Orkestar wiederum integriert südamerikanische Rhythmen wie Mambo und Samba in ihr Programm. Und selbst das gesetzte Streichensemble der Taraf de Haïdouks überrascht ihr Publikum mit „Oh Carolina“, dem erstem Hit des amerikanischen Dancehall-Stars Shaggy.

Der jüngeren Generation von Roma-Musikern geht diese Modernisierung allerdings noch lange nicht weit genug: Sie ist auf der Suche nach ganz neuen Crossover-Sounds. In Belgrad mischt die Roma-Band „Kal“ – der Romanes-Ausdruck für schwarz – Balkan-Folklore mit Surf-Gitarren zu einem Stil, den sie „Gipsy Rockabilly“ nennt. In Prag ist der Rapper „gipsy.cz“ mit seiner Kombination aus tschechischem Sprechgesang und Gipsy-Geigen zum Pionier des Romano-HipHop aufgestiegen. Und in Wien rührt der Produzent Stani Vana mit seiner Band Deladap! melancholische Roma-Melodien mit modernen Club-Beats zu einem süffigen Gipsy-Lounge-Cocktail zusammen.

Aber auch aus der anderen Richtung findet eine Annäherung statt: Zahlreiche westliche DJs und Produzenten haben sich inzwischen daran gemacht, die Musik der Roma-Bands mit House-Beats und Dub-Remixen zu kombinieren. Auf Samplern wie „Electric Gipsyland“ und „Balkan Beats“ sowie den „bucovina club“-Compilations des Frankfurter DJs Shantel kann man die hybriden Ergebnisse solcher musikalischen Crossover-Operationen hören: Die vielen Promenadenmischungen aus Balkan-Folklore und Dance-Elektronika, aber auch aus Punkrock und Roma-Traditionals bilden inzwischen schon ein eigenes Genre für sich.

Diese Bastard-Sounds, für den westlichen Dancefloor fit gemacht, sind auch der Stoff, aus dem die europaweit florierenden Balkan-Partys gemacht sind. Im Frankfurter Schauspielhaus rief der DJ Shantel einst seinen „bucovina club“ ins Leben; inzwischen geht er damit weltweit auf Reisen. In Berlin hat der bosnische DJ Robert Soko mit seinem kroatischen Partner Marko die Partyreihe „Balkan Beats“ gegründet, bei der sich die Hits der traditionellen Roma-Kapellen mit jenen des neuen, osteuropäischen Ska-Undergrounds abwechseln. Ebenfalls in Berlin haben die beiden „Russendisco“-Erfinder Wladimir Kaminer und Yuri Ghurzy mit ihrem „Rodina“-Club ein festes Domizil für osteuropäische Klänge geschaffen. Auch in Wien bietet der „Ostklub“ ein Programm, in dem alle Sorten von Balkan-Klängen ihren festen Platz haben.

Selbst in den USA hat der Balkan-Trend inzwischen seine Ausläufer gefunden. Für eine anarchische Spielart steht der ukrainische Musiker Eugene Hütz, der in New York seine Band Gogol Bordello betreibt. „Gipsy Punk Cabaret“ nennt er seinen Stil, und seine exzessiven, wodkaseligen Auftritte sind berüchtigt. In „Alles ist Erleuchtet“, der Verfilmung des gleichnamigen Romans, hat Hütz die Rolle eines jungen Ukrainers gespielt, der jüdische Amerikaner, die nach den Wurzeln ihrer Vorfahren fahnden, durch die Ukraine kutschiert.

Zu den vielen Amerikanern, die es ins neue alte Europa zog, gehörte auch Zach Condon. Ein Jahr lang trieb er sich zwischen Berlin und Belgrad umher, um nach seiner Rückkehr in seiner Heimatstadt Albuquerque, New Mexiko, ein Album aufzunehmen, das die musikalischen Eindrücke dieser Reise reflektiert. Fast im Alleingang mit Mandoline und Klavier, Akkordeon und Ukulele im Heimstudio aufgenommen, veröffentlichte er das Album unter dem Künstlernamen „Beirut“. Seine melancholischen Songs, in denen die elegische Stimmung des Alternative Country ins dramatische Pathos des Balkans gleitet, fanden in Westeuropa wiederum ein begeistertes Echo.

Dass der Sound des wilden Ostens jetzt den Westen erobert, ist nicht zuletzt eine Folge der EU-Osterweiterung. Mit ihr sind die Roma zur größte Minderheit im vereinigten Europa aufgestiegen: Über zwei Millionen Roma leben allein in Rumänien, mehr als eine Million verteilen sich über Ungarn, Tschechien und die Slowakei. Während ihre soziale und politische Lage prekär bleibt, genießt ihre Musik plötzlich ungeahnte Popularität. Es scheint sogar, als habe sie noch eine große Zukunft vor sich.

Fanfare Ciocarlia: „Queens & Kings“ (Asphalt Tango); Esma Redzepova: „Gypsy Carpet“ (Network). Sampler: „Electric Gypsyland 2“ (Crammed Disc); „Gypsy Groove“ (Putumayo/Exil); „Balkan Beats“ (Eastblok)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen