Wildheit und Geheimnis

WERKSTATT Als noch Osten war, diente die Keramik-Werkstatt von Wilfriede Maaß als wichtiger Künstlertreffpunkt. In Pankow bringt die Ausstellung „brennzeiten“ die Geschichte zurück

■ Ausstellung: Galerie Forum Amalienpark, Breite Straße 2 a, Di.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 11–16 Uhr, bis 25. Oktober

■ Gespräch: 16. Oktober, 19.30 Uhr, „Von der Keramikwerkstatt zur Galerie“ mit Wilfriede Maaß, Petra Schramm und Sabine Herrmann

■ Buch: „brennzeiten“, Lukas Verlag, Berlin, 180 Seiten, 25 Euro

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Die Dielen knarren, das Herbstlicht fällt durch hohe Fenster. Die Galerie Forum Amalienpark residiert in den Räumen einer Altbauwohnung in Pankow. Das ist ein wunderbares Ambiente für die intimen Kunstobjekte der Ausstellung „brennzeiten“, die von vielen Künstlern bemalte Keramik aus der Werkstatt von Wilfriede Maaß vorstellt und auch von Künstlern gestaltete Bücher. Sie alle sind Zeugnis einer Kunstszene, die sich in den achtziger Jahren in Ostberlin in privaten Räumen neue Bühnen schuf, eine Art von intimer, klandestiner Öffentlichkeit. Und sie bezeugen in ihrer Gegenständlichkeit ein Leben mit der Kunst, ein alltägliches In-die-Hand-Nehmen von Kannen, Tassen und Büchern, die kostbar und persönlich gestaltet sind.

Eine Anmutung von großer Spontaneität, von Lebenslust und Lebenshunger, von erotischer Offenheit und Genussfähigkeit, expressiv oft und manchmal archaisch, zeichnet die bemalte Keramik aus. Ob in groben Konturen oder feinen Ritzzeichnungen, mit Farbklecksen und kecken Wischern: Es ist ein wildes, bewegtes Völkchen, das durch die miniaturisierten Szenen unter den Glasuren tobt. Der Kunsthistoriker Christoph Tannert nennt „Punk“, was aus dem Brennofen kam: „renitent, dilettantisch, laut“.

Aber es gibt auch Gesten des Verrätselns, des Nichtsagenkönnens und des Geheimnisvollen. Zum Beispiel bei den Arbeiten der Dresdner Künstlerin Angela Hampel, die Frauenfiguren und Salamander in symbiotische Verbindung bringt. In einer Lithografie von ihr von 1984 greift eine hölzern wirkende Hand in das Gesicht einer Frau, versperrt Augen und Mund. Die Augen geschlossen hat auch Holger Stark, der sich für ein Plakat einer Ausstellung von Keramik in der Galerie Wilfriede Maaß nackt in die Badewanne legte.

Man findet beinahe ein Who’s who der ostdeutschen Malerszene hier im kleinen Format versammelt, Cornelia Schleime, Cristine Schlegel, Karla Woisnitza, Sabine Hermann, Helge Leiberg, Carsten Nikolai, Neo Rauch und Ronald Lippok gehörten dazu. Tatsächlich kamen in den achtziger Jahren auch viele Dichter und Schriftsteller in die Küche neben der Werkstatt, für die Wilfriedes Mann, Ekkehard Maaß, Lesungen organisierte. Keramik zu bemalen, ein Buch von Elke Erb oder Gedichte von Bert Papenfuß zu illustrieren; es sieht aus, als hätte sich eines aus dem anderen ergeben.

Für den Katalog hat Ekkehard Maaß eine Chronik über seinen literarischen Salon und die Keramikwerkstatt geschrieben, „Wo sich das Private und das Politische überschneiden, wird Geschichte konkret.“ Er erzählt nebenbei vom Mauern des Keramikofens, von den vielen Bäumen, die er im Hof der Werkstatt in der Schönfließer Straße in Prenzlauer Berg pflanzte, von den Nudelsalaten, die Wilfriede und er für die Dichterlesungen machten, und so stellt sich das Bild eines Projekts ein, das jede Faser des Lebens durchdrang. Im Mittelpunkt seiner Erzählung stehen natürlich die Autoren, die Schwierigkeiten, die ihren Auftritten in den Weg gelegt wurden, Verhaftungen nach Lesungen, und Geschichten von Ausreisen.

Im Kosmos der Werkstatt spiegelt sich die Kunstszene Prenzlauer Berg mit ihren Utopien und Euphorien, mit Repressionen und Depressionen

Ich habe von dieser kulturellen Keimzelle des Prenzlauer Bergs 1990 erfahren, als ich als Kunstjournalistin an einem Austausch von Westberliner Künstlerinnen und Künstlerinnen aus der DDR teilnahm. Jede kannte Elfriede Maaß. Bei ihr ging das Gespräch auch weiter über die Unsicherheiten, die viele in der Nachwendezeit auf sich zukommen sahen. Die Werkstatt blieb ein Ankerpunkt, bis zu dem Tag im Oktober 1991, als eine Hauptfigur in diesem Salon, der Dichter Sascha Anderson, Freund von Wilfriede und Ekkehard Maaß, als IM der Stasi enttarnt wurde. Eine Erschütterung, die dieses Biotop nachhaltig verstörte.

1998 hat Wilfriede Maaß Berlin verlassen, ihre Werkstatt führt sie weiter in Schlemmin. In der Ausstellung kann man ihr in einem Video begegnen, grauhaarig inzwischen, aber noch immer mit jener Ausstrahlung von Zurückhaltung und Gelassenheit, die mit ihr zu arbeiten so angenehm für viele Künstler gemacht hat. Heute kann sie sagen, dass ihre Keramik anderen als Malgrund zur Verfügung zu stellen für sie auch ein Ersatz dafür war, dass sie selbst nicht Kunst studieren konnte. Sie erzählt von der Nachtarbeit, die der Rhythmus des Brennofens vorgab, und wie sie nicht mit den anderen ausgehen konnte; und von der Notwendigkeit, Geld für die Familie mit zwei kleinen Kindern zu verdienen.

Das Interview mit ihr, ebenfalls in dem Katalog „brennzeiten“ abgedruckt, ist eine gute Ergänzung zur Chronik von Ekkehard Maaß. Man beginnt noch mehr von den Kosten zu ahnen, die sie tragen musste, um diesen kreativen Treffpunkt zu halten. Zugleich vermittelt das Buch, am kleinen Kosmos der Werkstatt gespiegelt, ein gutes Bild der Prenzlauer-Berg-Boheme, von ihren Utopien und Euphorien, von erfahrenen Repressionen und folgenden Depressionen, von gelebter Nähe und beklemmender Enge. Und plötzlich meint man, das alles auch sehen, greifen und fühlen zu können in den Stücken aus der Werkstatt von Wilfriede Maaß.