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Archiv-Artikel

Der unbezahlbare Freund

FINANZEN Hat Christine Lagarde den Unternehmer Bernard Tapie begünstigt? Wie Tapie, Adidas und einige Abgeordnete die Pläne der Finanzministerin durchkreuzen könnten

Christine Lagarde und der IWF

 Strauss-Kahns Fall: Seit 2007 führte der Franzose Dominique Strauss-Kahn den Internationalen Währungsfonds (IWF). Er legte sein Amt am 18. Mai nieder. Am 14. Mai soll er in einem New Yorker Hotelzimmer eine Angestellte aus Guinea sexuell bedrängt haben. Er steht jetzt wegen versuchter Vergewaltigung vor Gericht. Übergangsweise führt der US-Amerikaner John Lipsky, bisher Erster Stellvertreter, die Geschäfte.

 Die Nachfolge: Am 25. Mai meldete Frankreichs 55-jährige Finanzministerin Christine Lagarde ihre Kandidatur für Strauss-Kahns Nachfolge an und erhielt danach die Unterstützung des G-8-Gipfels – der sieben wichtigsten Industrienationen plus Russland. Die Schwellenländer Brasilien, Indien, China und Südafrika sowie andere Nationen sind dagegen. Bislang ist der einzige offizielle Gegenkandidat Mexikos Zentralbankchef Agustín Carstens. Die Frist zur Kandidatenaufstellung läuft am 10. Juni ab. Traditionell wird der IWF seit seiner Gründung 1946 von einem Europäer geführt, die Weltbank von einem US-Amerikaner. Dies wird von den Schwellenländern zunehmend hinterfragt.

 Lagardes Problem: Am Freitag soll eine Richterkommission in Frankreich darüber entschieden werden, ob gegen Lagarde ein Gerichtsverfahren eröffnet wird. Ihr wird in der Affäre Tapie die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Sollte die Klage zulässig sein, wird das Gericht „Cour de justice de la République“ den Fall behandeln. Dies ist eine aus zwölf Parlamentariern und drei hochrangigen Berufsrichtern zusammengesetzte Sonderinstanz, die sich um Vergehen von Ministern in Ausübung ihrer Amtstätigkeit kümmert. Ob es am Freitag überhaupt zu einer Entscheidung kommt, ist derzeit offen. (dj, rb)

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Auf ihrer Rundreise rund um den Planeten hat Christine Lagarde viele Komplimente erhalten. Alle loben ihre Kompetenz, ihr diplomatisches Geschick, ihre Eleganz oder ihr Durchsetzungsvermögen, nicht zuletzt auch ihr Englisch. Denn noch sind es die Partner bei internationalen Konferenzen nicht gewohnt, dass französische Regierungsmitglieder akzentfrei- es Businessenglisch sprechen. Christine Lagarde, die Powerfrau, scheint alle Trümpfe in der Hand zu haben, um Nachfolgerin ihres Landsmanns Dominique Strauss-Kahn an der IWF-Spitze zu werden. Der Stolperstein, der Lagarde auf der Zielgeraden noch zu Fall bringen könnte, heißt Bernard Tapie. Er könne nichts dafür, beteuert mit koketter Unschuldsmiene der mittlerweile 68-jährige, aber unverwüstliche Sunnyboy und Geschäftsmann. Er hat mit Unternehmen jongliert wie andere mit Gummibällen, wurde Manager des Fußballclubs Olympique Marseille und Minister, landete wegen betrügerischem Konkurs im Gefängnis. Am Ende steht er wieder als Millionär und Erfolgsmensch da – dank Christine Lagarde.

Ausgerechnet Tapies Comeback könnte zu einem vorzeitigen Ende der brillanten Laufbahn der heutigen Finanz- und Wirtschaftsministerin Lagarde werden. An diesem Freitag, wenn auch die Frist für die Einreichung der Kandidaturen beim Internationalen Währungsfonds ausläuft, könnte in Paris entschieden werden, ob gegen Lagarde ein Gerichtsverfahren wegen Machtmissbrauch und Begünstigung eingeleitet wird, wie dies Jean-Louis Nadal, Generalstaatsanwalt am Kassationsgericht, aufgrund „der gravierenden und bedeutenden Vorwürfe gegen die Ministerin“ für angebracht hält. Bisher hatte Lagarde immer gesagt, sie habe nichts zu befürchten. Und den Fragestellern, die mehr wissen wollten, sagte sie barsch: „Das Dossier [der Anschuldigungen] ist absolut leer. Es handelt sich eindeutig um ein politisches Manöver, um mich zu schwächen und den Schatten eines Zweifels auf mich fallen zu lassen.“

Da es um ein eventuelles Vergehen in Ausübung eines Regierungsamts geht, ist ein Sondergericht, die Cour de Justice de la République, zuständig. Über die Frage, ob Lagarde überhaupt der Prozess gemacht wird oder nicht, entscheidet am Freitag eine Kommission – möglich ist auch eine Verschiebung der Entscheidung. Es geht um eine alte Affäre, die schon seit 18 Jahren zum Himmel stinkt: Beim Verkauf von Adidas durch Bernard Tapie hat die staatliche Bank Crédit Lyonnais hinter seinem Rücken ein doppeltes Spiel betrieben. Lagarde wollte dem langen gerichtlichen Seilziehen um eine Einigung mit einem Schiedsspruch ein Ende setzen. Tapie kassierte am Ende 285 Millionen Euro Entschädigung. Diesen Vergleich bezahlen die Steuerzahler. Doch das ist nur ein Bruchteil der bisher 7,6 Milliarden Euro, die die abenteuerlichen Spekulationen gekostet haben, mit denen sich die Bank Crédit Lyonnais zu Beginn der Neunzigerjahre an den Rand des Bankrotts gebracht hatte.

Doppeltes Spiel

Begonnen hatte die Affäre, die Lagarde jetzt mit viel Verspätung einholt, im Jahre 1992. Damals befand sich Bernard Tapie auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Alles, was er anfasste, verwandelte sich scheinbar in Gold. Präsident François Mitterrand gewann diesen populären Mann, der sich trotz seiner skrupellosen Geschäftsmanieren ein linkes Image gab, auch für sich und ernannte ihn zum Stadtminister. Deswegen wollte Tapie seine Aktienmehrheit des ehemals deutschen Sportartikelkonzerns Adidas verkaufen, die er zwei Jahre zuvor für 1,6 Milliarden Francs (244 Millionen Euro) günstig erstanden hatte. Den Auftrag dazu erteilte er der Bank SDBO, einer Filiale des Crédit Lyonnais (CL), die Adidas einer Gruppe von Anlegern für 2 Milliarden Francs verkaufte. Hinter den neuen Eigentümern stand, so entdeckte Tapie angeblich später erst, eine andere CL-Filiale, die sich mit einem Anteil von 20 Prozent an dem Gewinn versprechenden Geschäft beteiligte. Ein gutes Jahr später verscherbelten nämlich die neuen Besitzer Adidas für mehr als das Doppelte: 4,4 Milliarden Francs (670 Millionen Euro). Mitterrands Linksregierung war inzwischen vom konservativen Premierminister Edouard Balladur abgelöst worden. Tapie fühlte sich ausgetrickst. Er hatte sich mit neuen Geschäften übernommen, konnte seine Schulden nicht mehr begleichen und war wenig später bankrott.

Die Konkursverwalter waren hartnäckiger als Tapie. Sie klagten gegen die Bank, die selbst vor dem Konkurs stand. Für ihre Sünden und Schulden musste nun auf Staatskosten eine eigens geschaffene Struktur, das Konsortium CDR, aufkommen. Nach einem vergeblichen Einigungsversuch zwischen dem CDR und Tapie verurteilte das Pariser Berufungsgericht das Konsortium zur Zahlung von insgesamt 145 Millionen Euro Entschädigung inklusive Zinsen. Dieser Entscheid wurde aber aufgrund einer Beschwerde vom Kassationsgericht, der höchsten juristischen Instanz, für ungültig erklärt. Damit war die Sache juristisch in einer Sackgasse.

Bernard Tapie hatte nach der Verbüßung einer Haftstrafe eine neue Karriere als Fernsehkommissar eingeschlagen. Auch politisch setzte er bei den Präsidentschaftswahlen 2007 auf den richtigen Favoriten, indem er den Kandidaten Nicolas Sarkozy unterstützte. Das sollte er nicht bereuen. Denn nur wenige Monate nach Sarkozys Wahl fand die neue Finanz- und Wirtschaftsministerin Christine Lagarde überraschend einen Ausweg, um Tapie doch noch zu seinem Recht und Geld zu verhelfen. Sie wies den CDR-Vorsitzenden Jean-François Rocchi an, eine Einigung vor einem privaten Schiedsgericht anzustreben. Angeblich war sie überzeugt, dass Tapie am Ende keine große Summe kassieren würde; damals war – immerhin – von 30 Millionen Euro die Rede.

Natürlich war Lagardes Wunsch dem beflissenen Spitzenbeamten Rocchi ein Befehl. Er setzte sogar durch, dass Tapie zusätzlich zu den 165 Millionen Euro Entschädigung auch noch 45 Millionen als (nicht steuerpflichtige!) „moralische Wiedergutmachung“ bekam. Laut dem Magazin Le Nouvel Observateur soll Rocchi im CDR sogar mit dem Rücktritt gedroht und, was weit gravierender wäre, den Entwurf des Einigungsvorschlags abgeändert haben, um für Tapie einen vorteilhafteren Deal durchzusetzen. Dieser sollte also aus der Staatskasse 210 statt 30 Millionen bekommen?

Da war nach Ansicht des sozialistischen Vorsitzenden der Finanzkommission der Nationalversammlung, Jérôme Cahuzac, etwas faul, dies umso mehr, als ihm zufolge das Adidas-Geschäft nicht zu den CL-Verlusten gehört, für die das CDR eine Garantie übernommen hatte. Laut oberstem Rechnungshof hätte zudem die Regierung vor dem Gang zum Schiedsgericht das Parlament konsultieren müssen.

Eine Gruppe sozialistischer Abgeordneter will daher die zuständige Ministerin Lagarde zur Verantwortung ziehen. Doch was wäre das Motiv der von ihnen angeführten Begünstigung? Für die Sozialistin Ségolène Royal handelt es sich um „ein Arrangement, den Preis für eine Unterstützung“. In einem Interview spielt Tapie den Entrüsteten: Als Freund sei er doch schlicht unbezahlbar. Er findet es „nicht sehr elegant“, dass Lagarde bei ihrer Unschuldsbeteuerung die rhetorische Frage gestellt hat, ob sie denn aussähe wie jemand, der Tapies Freundin sei.

Stand sie unter Druck?

In der Opposition vermutet man, dass Lagarde nicht aus eigenem Antrieb gehandelt hat. Royal sieht in Lagarde „ein Opfer der Befehle von Nicolas Sarkozy“. Ebenso explizit meinte der Grüne Daniel Cohn-Bendit im Fernsehsender France 2: „Ich bin kein Richter, aber ich denke, dass Christine ihre Entscheidung unter dem Druck von Nicolas Sarkozy getroffen hat.“ Auch die ehemalige Untersuchungsrichterin Eva Joly (Europe Ecologie – Les Verts) hält eine Anstiftung aus dem Elysée-Palast für höchst plausibel: „Niemand glaubt ernsthaft, dass sie das von sich aus gemacht hat. Wer anderes (als der Staatschef) kann die Weisung gegeben haben, so viel öffentliche Gelder unnütz auszugeben?“ Für Joly, die als Richterin die illegale Parteifinanzierung bekämpft hat, handelt sich eindeutig um eine „Korruptionsaffäre“. Bleibt die Frage, ob Sarkozy nach dem Skandal um Dominique Strauss-Kahn das beträchtliche Risiko eingegangen wäre, Lagarde so eindringlich als Nachfolgerin vorzuschlagen, wenn er ernsthaft damit rechnen müsste, dass diese über den Tapie-Deal stolpern könnte.