Der Mann, der sich den Autos in den Weg stellt

In wenigen Jahren soll die A 100 durch Treptow führen. Der Protest gegen die Autobahn-Schneise ist verhalten. Aber Harald Moritz lässt nicht locker

Im Koalitionsvertrag steht zum Weiterbau der A 100 ein einziger Satz: „Der Stadtring A 100 wird verlängert bis zur Anschlussstelle Treptower Park – finanziert durch den Bund.“ Gerade der letzte Teil ist aussagekräftig, denn allein hätte sich die hoch verschuldete Hauptstadt das Projekt nicht geleistet. Zumal sich das von Naturschützern scharf kritisierte Betonprojekt schlecht mit anderen Aspekten der rot-roten Verkehrspolitik verträgt. „Für nur 3,2 Kilometer Streckenlänge sollen 313 Millionen Euro in Beton gegossen, 11 Kleingartenanlagen, mehrere Gewerbebetriebe und Wohnhäuser zerstört werden“, kritisierte Linkspartei-Verkehrsexpertin Jutta Matuschek den Ausbau in einem Interview. Der Bau soll 2010 beginnen, 2016 soll das Teilstück fertig sein. TAZ

VON GITTE DIENER

Genau hier wird sie verlaufen, die A 100. Harald Moritz steht in der Matthesstraße. Eine Hand am Fahrrad, deutet er zur Beermannstraße. Dort stehen Wohnhäuser, bald werden es drei weniger sein. Für die Mieter ist das bitter. Aber das wäre nur der geringste Eingriff in das Gebiet rund um den Treptower Park, findet der Grünen-Politiker.

Eine breite Schneise soll hier für Autofahrer geschlagen werden. Werden die aktuellen Pläne des Senats realisiert, wird sie entlang der S-Bahn-Trasse durch Neukölln und Treptow führen. In Höhe der Kiefholzstraße wechselt sie von der östlichen auf die westliche Seite der S-Bahn, um später über die Elsenbrücke zu führen. Vor der Beermannstraße, zwischen S-Bahn und Park-Center, klafft jetzt eine Lücke, wo die A 100, der Stadtring, zunächst enden wird. Dort wurde all die Jahre gar nicht erst gebaut.

Ein Ort mit einer seltsamen Atmosphäre: weder vollkommen ruhig noch lärmig wie bei einer vierspurigen Schnellstraße. Die S-Bahn rattert in regelmäßigen Abständen über die Trasse, Pkw-Fahrer suchen in der Matthesstraße einen Parkplatz. Das Parkhaus des Einkaufszentrums entlässt hin und wieder Autos auf die zukünftige Autobahn. Ist sie tatsächlich da, muss wohl eine neue Ausfahrt her. Schräg gegenüber liegt der Ruhepol des Bezirks: der Treptower Park. Die Puschkinallee, die ihn durchschneidet, wird zum Autobahnzubringer. Fraglich, ob dort noch Erholung möglich sein wird.

Vermutlich hat kaum ein Zweiter die geplante Wegführung der Autobahn so gut im Kopf wie Harald Moritz. Beruflich kümmert sich der Kfz-Mechaniker um Autos. Privat auch – indirekt: Der 49-Jährige ist federführend in der Bürgerinitiative Stadtring Süd (Biss Treptow). Er will Widerstand gegen den Weiterbau der A 100 vom Dreieck Neukölln bis zur Anschlussstelle Treptower Park mobilisieren und Unwissende über das Ausmaß der neuen Straße informieren. Beruf und Berufung im Widerspruch? Harald Moritz weist das von sich: „Ich bin kein Ideologe“, sagt er, „hinter den Planungen steht einfach eine falsche Verkehrspolitik.“

Wie er das sagt, wirkt überzeugend, bodenständig und ehrlich. Er redet sachlich und trägt Argumente der Gegenseite vor – auch wenn er sie für falsch hält. So einfach ist das. Moritz trägt Jeans und Karohemd, an den Fingernägeln klebt noch etwas Motoröl aus der Werkstatt: ein Arbeiter, einer mit langem Atem.

Seit Anfang der 90er-Jahre gilt seine Aufmerksamkeit der Verkehrsplanung. Ein politischer Mensch war er, der verheiratete Vater eines erwachsenen Sohns, schon vorher: In der DDR Oppositioneller, trat er für die Meinungsfreiheit und gegen Wahlfälschung ein. Er habe sich in einer Treptower Kirchengemeinde engagiert, erzählt er, um denjenigen einen Raum zu bieten, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten. Seine Lebensstationen zählt er schnell auf. Nicht weil sie ihm unwichtig wären – Harald Moritz macht nur nicht gerne viel Aufhebens um seine Person. Nach der Wende wurden Verkehrspolitik und Stadtplanung sein Spezialgebiet. 1990 wurde er für Bündnis 90 in die BVV gewählt. Er war lange Zeit Sprecher der Bezirksgruppe. Und auch heute arbeitet er noch der Fraktion in manchen Fragen zu – wie etwa dem Weiterbau der A 100.

Die ersten Entwürfe des Autobahnabschnitts durch Treptow reichen, so heißt es in der Senatsverwaltung für Verkehr, bis in die 20er-Jahre zurück. Erst nach dem Mauerfall wurde es konkret: Die Pläne wurden zum Bundesverkehrswegeplan angemeldet. Anfang der 90er-Jahre, so Moritz, sei der Bedarf dann festgestellt worden. Der Bundestag – Autobahnbau ist in Deutschland Bundessache – beschloss daraufhin den Bau. Seitdem gibt es daran nichts zu rütteln. Bis 2009 wird voraussichtlich das Planfeststellungsverfahren beendet sein. Die Bagger könnten dann anrücken.

Solange Harald Moritz die Pläne kennt, regt sich in ihm Unmut. Bereits 1990 hätten sie mit der Biss Neukölln versucht, auf die Auswirkungen eines Baus aufmerksam zu machen. Heute bringt ihn vor allem eins auf die Palme: „Der Bedarf wurde mit den Prognosen der Bevölkerungsentwicklung von 1990 begründet. Obwohl sich die Zahlen nicht bewahrheitet haben, hält man daran fest.“ Man plane weiterhin auf Wachstum, wo kein Wachstum sei. Für ihn eindeutig eine politische Entscheidung: Denn bereits vom Bund bewilligte Finanztöpfe seien zweckgebunden und könnten nicht verschoben werden. Das sei nicht mehr zeitgemäß.

Für die Senatsverkehrsverwaltung steht hinter der Umsetzung eine ganz einfache Rechnung: Die A 100 verringere die Belastungen durch den Autoverkehr. „Generell gilt: Werden mehr Wege über die Autobahn genommen, führt das insgesamt zu einer Entlastung“, so die Senatsverwaltung. Es sei positiv, wenn die Autos nicht durch Wohngebiete fahren. Ziel sei es, dass eine höhere Anzahl von Menschen entlastet wird.

Harald Moritz sieht genau das Gegenteil auf das Gebiet um den Treptower Park zukommen. Er prophezeit drastische Folgen: „Lärm, Abgase und Dauerstaus“. Die Senatsverwaltung bestreitet die Staugefahr. Moritz rechnet vor: Derzeit fahren etwa 60.000 Autos über die Elsenbrücke, mit einer Autobahn werden es vermutlich 30.000 mehr sein. An der Kreuzung Elsenstraße/Am Treptower Park entsteht ein Hauptverkehrsknotenpunkt, ein Nadelöhr. Die Folge: „Wenn die Autos an Staustellen nicht wegkommen, suchen sich die Autofahrer andere Wege.“ Damit wäre dann die A 100 nicht mehr nur eine Frage einzelner Straßen, sondern aller angrenzenden Wege. Wege, an denen Kitas und weitere Wohnhäuser liegen. Sie werden Autos zur Autobahn schleusen müssen: „Hier wird ein Chaos geschaffen“, ist sich Moritz sicher.

Der Widerstand gegen den Weiterbau der Schnellstraße ist dennoch bisher verhalten. Am letzten Vernetzungstreffen der Biss Mitte Februar haben sich zwar rund 14 Initiativen wie der BUND Berlin beteiligt, doch nur etwas mehr als 30 Personen kamen. Anwohner? Eindeutig in der Minderheit. Harald Moritz selbst ist nur Anwohner mit Abstand. Er wäre indirekt durch den Verkehr betroffen, der sich Abkürzungen durch Wohngebiete sucht. Trotzdem will er die Autobahn nicht. Dass andere kein eindeutiges Nein formulieren, habe unterschiedliche Gründe, mutmaßt er: „Die meisten wehren sich erst, wenn der Bagger schon im Garten steht.“ Dann sei es aber zu spät.

Hört man sich in betroffenen Kleingartenkolonien um, bleibt es tatsächlich ziemlich still: „Ich bin 70 Jahre alt und verwitwet. Das hat keinen Sinn mehr“, so die Antwort eines Schrebergartenbesitzers. Und selbst aus den Reihen der Grünen gibt es eine eher gelassene Anwohnerstimme: „Mit der Autobahn vor der Tür werde ich vermutlich umziehen“, sagt Johannes Sievers. Der 26-jährige Student und Bezirksverordnete wohnt seit vier Jahren in der Beermannstraße. Die Nähe zum Treptower Park sei damals entscheidend gewesen, hierher zu ziehen.

Harald Moritz macht denen, die man gemeinhin gerne schnell als „politikverdrossen“ abstempelt, keinen Vorwurf. Es sei kein Wunder, findet er, die Politik handle Bürgerbeteiligung doch lediglich formal ab. „Damit wird das Bürgerengagement totgemacht.“ Würden die Bürger stärker in solche Entscheidungen für ihren Bezirk mit einbezogen, gäbe es letztlich eine größere Zufriedenheit. Trotzdem würden selbstverständlich nicht Tausende auf die Straße gehen, um sich politisch einzubringen. Das sieht Moritz auch. Er ist Idealist, aber auch Realist.

Bei aller Kritik an der geplanten Schnellstraße: Gibt es auch Gewinner bei diesem Großprojekt? Nein, Harald Moritz kann da niemanden ausmachen. Aber der Senatsverwaltung gelingt es. Durch den Stadtring würden in Treptow unter anderem die Köpenicker Landstraße und die Puschkinallee entlastet, heißt es. Weniger Autos, das bedeutet weniger Lärm, Dreck und Stau: Klingt nach einer 1a-Wohnlage mit Autobahnanschluss.