: Porträt einer großen Liebe
SZENISCHE LESUNG Im Roten Rathaus wurde an den Schriftsteller Christopher Isherwood und seine Zeit in Berlin (1929–1933) erinnert
Dienstagabend. „Rotes Rathaus“. Vor der großen Eingangstreppe steht ein Schild: „Invitation only“. Die Pförtnerin fragt: „Wo wollen Sie denn hin?“ Ich antworte: „Zu der Veranstaltung“. Sie sagt, die ist da oben. Im Saal sitzen vielleicht hundert Leute.
Am Rande steht der Ehrengast Don Bachardy. Der 80-jährige US-Künstler ist langjähriger Lebensgefährte von Christopher Isherwood. Isherwood ist der Autor von „Goodbye Berlin“ (1939), dessen Verfilmung „Cabaret“ (1972) mit Liza Minelli ein jeder kennt. „Cabaret“ hat nicht nur David Bowie dazu gebracht, nach Berlin zu ziehen. Bachardy war 32 Jahre lang mit Christopher Isherwood liiert.
Neue Übersetzungen
Vor ein paar Tagen sind Isherwoods Romane „Goodbye Berlin“ und „A Single Man“ bei Hoffmann & Campe in neuer Übersetzung erschienen. „Goodbye Berlin“ wurde von Kathrin Passig und Gerhard Henschel übersetzt, „A Single Man“ von dem Suhrkamp-Autor Thomas Melle. Der Veranstaltungsraum ist etwa 20 Meter hoch. Es ist ungewöhnlich warm. Die meisten Gäste sind fein angezogen, ich fühle mich ein bisschen unpassend, weil alles so vornehm ist und ich schwitze.
Neben Bachardy sitzen drei weitere Männer auf dem Podium: der britische Schauspieler Simon Callow, sein deutscher Kollege Denis Abrahams und der Publizist Jörn Jacob Rohwer.
Rohwer graduierte am Londoner University College und wurde bekannt durch seine Gespräche, etwa mit Susan Sontag, Leni Riefenstahl und Volker Schlöndorff. „Der Meister des Interviews“ (Wikipedia) ist zuständig für das Gespräch mit Bachardy, während die beiden Schauspieler zum Lesen von Passagen aus den beiden Isherwood-Romanen engagiert wurden.
Nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen, in England zu studieren, folgte Isherwood 1929 seinem Freund, dem Schriftsteller W. H. Auden („Das Zeitalter der Angst, 1947), nach Berlin, wo er bis 1933 lebte.
Berühmter erster Satz
Vor allem die Schwulenszene hatte den Schriftsteller fasziniert; das Berlin der untergehenden Weimarer Republik war für ihn wie eine Party, von der er nicht weggehen wollte. Eingangs wurde das unter Künstlern aus aller Welt so beliebte Berlin von heute mit dem von Isherwood verglichen. Man möchte diesen Vergleich nicht zu Ende denken. Die beiden Schauspieler lesen abwechselnd Passagen. Auch den berühmten ersten Satz von „Goodbye Berlin“: „Ich bin eine Kamera mit offenem Verschluss, ganz passiv, ich nehme auf, ich denke nicht.“ Während der Lesung stellt man sich die dazu passenden Passagen aus „Cabaret“ vor, umso mehr, da die Schauspieler auch szenisch lesen.
Danach tragen Don Bachardy und Simon Callow aus dem Liebesbriefwechsel zwischen Isherwood und Bachardy vor, der unter dem Titel „The Animals“ als Buch erschienen ist. Bachardy, dessen viele „Ähs“ an die Opas aus der Muppets-Show erinnern, übernimmt dabei die Rolle seines 1986 verstorbenen Lebensgefährten. Wie das war, weil Isherwood doch 30 Jahre älter war. Ob sie im Los Angeles der 50er Jahre diskriminiert wurden – nein, aber sie lebten auch im Künstler- und Schauspielermilieu. Und Bachardy erzählte, dass er nach Isherwoods Tod einen um 26 Jahre jüngeren Freund hatte und dankbar dafür sei, dass er so die Position, die Isherwood in ihrer väterlichen Beziehung einnahm, nachfühlen konnte.
Manchmal merkte man dem Gespräch an, dass Bachardy die Fragen seines Gesprächspartners schon mehrmals beantwortet hatte. Vielleicht ist es auch nicht immer einfach, mit seiner großen Liebesgeschichte ein Vorbild der queeren Community zu sein. DETLEF KUHLBRODT