: Die „Weiß-nicht“-Bürger
FREITAGSKASINO VON ULRIKE HERRMANN Kann der Euro überleben, obwohl fast niemand versteht, wie er funktioniert?
■ ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz. Sie hat Philosophie und Wirtschaftsgeschichte studiert und sich bisher erfolgreich dagegen gewehrt, ein Buch über Geld zu schreiben.
Es klingt pathetisch, ist aber wahr: Wir erleben Weltgeschichte. Während wir morgens unsere Brötchen kauen und abends nichts Interessantes im Fernsehen finden, entscheidet sich die Zukunft des Euro. Meist ist es ein stiller Prozess, und nur gelegentlich schrecken alle auf, weil sich neue Defizite in den Pleitestaaten auftun. In dieser Woche irritiert, dass Griechenland weitere 90 Milliarden Euro benötigt.
Der Euro war ein gewagtes historisches Experiment. Noch nie haben sich 17 unabhängige Nationen eine gemeinsame Währung gegeben. In den nächsten zwei Jahren wird sich zeigen, ob der Euro überlebt. Denn auch die Iren und Portugiesen dürften neues Geld benötigen.
Die Investoren sind optimistisch. Trotz der Krise notiert der Euro bei 1,46 gegenüber dem Dollar. Das ist fast ein Rekord. Offenbar glauben die Anleger, dass die USA eher zum Problemfall werden als die Eurozone.
Dieser Euro-Optimismus der Investoren ist bemerkenswert. Denn von den Bürgern wird er nicht geteilt. „Sehr großes Vertrauen“ in den Euro haben nur 5 Prozent. 49 Prozent hingegen machen sich Sorgen um seine Stabilität. Was stimmt? Die dunkle Ahnung vieler Wähler oder der Portfolio-Blick der Analysten?
Was ist eine Staatsanleihe?
Oberflächlich betrachtet scheint klar, dass es nicht die Bürger sein können, die den Durchblick haben. Das geben sie sogar selbst zu. Bei jeder Umfrage zum Euro retten sich etwa 40 Prozent in die Aussage „weiß nicht“.
Diese Desorientierung ist nicht erstaunlich. Denn die Begriffe werden nicht verstanden, in denen die Eurokrise verhandelt wird. Selbst Akademikern ist oft unklar, was eine „Staatsanleihe“ sein soll. Schließlich klingt dieses Wort, als würde ein Staat etwas verleihen. Dabei werden Schulden aufgenommen. Noch größer sind die Fragezeichen, wenn von „Abschreibungen“, „Forderungen“ oder „Eigenkapital“ die Rede ist.
Diese Verwirrung herrscht in allen Eurostaaten. Griechische Journalisten berichten, dass vielen ihrer Landsleute noch immer nicht klar sei, dass ihr Staat bankrott ist.
Eigentlich müsste man die oben gestellte Frage also anders formulieren: Wie wahrscheinlich ist es, dass der Euro überlebt, obwohl die Mehrheit seiner Nutzer nicht versteht, wie die Eurozone funktioniert?
Der Optimismus der Investoren zeigt, dass sie die Wähler nicht für wichtig erachten. Sie vertrauen auf die Politiker – und auf die Europäische Zentralbank. Selbstverständlich gehen die Anleger zum Beispiel davon aus, dass Griechenland schon irgendwie gerettet wird. Das hat seine eigene Rationalität. Schließlich würde es die EZB nicht ohne den Euro geben. Also ist anzunehmen, dass die Zentralbank alles tun wird, um die Gemeinschaftswährung zu retten. „Man darf den Selbsterhaltungsdrang der Institutionen nicht unterschätzen“, stellte der österreichische Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister schon zu Jahresanfang fest (taz, 18. 1. 2011).
Die Angst vor dem Wähler
Allerdings werden Zentralbanker nicht direkt vom Volk gewählt. Das ist bei Abgeordneten bekanntlich anders, weswegen dort die Nervosität deutlich steigt. Also wird derzeit in den Regierungsfraktionen medienwirksam debattiert, ob man ein zweites Rettungspaket für Griechenland absegnen soll. Dabei steht längst fest, dass weitere Milliarden fließen werden.
Aber auch diese mediale Inszenierung der tiefen Nachdenklichkeit dürfte nicht helfen, denn den Wählern war schon das erste Rettungspaket für Griechenland suspekt, das 110 Milliarden Euro umfasste und im vergangenen Mai beschlossen wurde. Heute halten nur 20 Prozent der Deutschen diese Hilfe für richtig. 47 Prozent der Befragten sind dagegen. Und jeder Dritte antwortete einmal mehr mit „weiß nicht“ oder „kann ich nicht sagen“. Der Widerstand gegen weitere Griechenland-Hilfen dürfte sogar noch größer sein – wurde aber noch nicht abgefragt.
Sämtliche Fraktionen regieren also gegen die Wähler. Denn nicht nur die Regierung setzt sich für neue Griechenland-Milliarden ein, sondern auch die Opposition. Sie alle folgen der Einsicht, dass sich Deutschland einen unkontrollierten Staatsbankrott in der Eurozone nicht leisten kann.
Aber wie vermittelt man dies einem Volk von „Weiß-nicht“-Bürgern? Zumal sie ein Anrecht auf ihr Nichtwissen haben. Die repräsentative Demokratie wurde geschaffen, weil es eine Überforderung wäre, wenn sich alle zeitgleich über Atom-GAUs, Libyen und Eurokrise informieren müssten.
Gesucht wird daher eine „Story“, die den Europäern verständlich macht, warum die den Euro benötigen, ohne dass sie den Euro verstehen. An dieser paradoxen Herausforderung ist bisher jeder gescheitert.
„Was habe ich davon?!“
Klar ist nur, was gar nicht funktioniert. Da ist zunächst der moralische Appell, nach dem Motto: Um Europa zu retten, müssen wir den Euro retten, und Europa brauchen wir, weil es eine so grandiose politische Idee ist. Jeder Einzelteil dieser Satzkaskade trifft zu und weckt trotzdem nur Misstrauen. Denn bei den Bürgern bleibt hängen, dass sie mit ihrem konkreten Geld für eine abstrakte Solidarität zahlen sollen. Da kommt sofort die Frage auf: „Und was habe ich davon!?“
Die Antwort auf diese Frage ist häufig, den Wählern Angst zu machen, indem ein üppiges Katastrophen-Szenario abgespult wird. In der Kurzzusammenfassung: Wenn Griechenland den Euro verlassen muss, dann fliegt der ganze europäische Süden raus, und der „Nord-Euro“ wertet dramatisch auf. Also brechen Deutschlands Exporte ein, die Löhne müssen sinken, und alle Banken sind pleite, weil sie ihre Forderungen gegenüber den Südländern abschreiben müssen.
Es wäre die totale Finanzkrise. Trotzdem wird dieses Katastrophenszenario nur selten geglaubt, denn es kommt wieder einmal nicht ohne Worte wie „Abschreibungen“ und „Forderungen“ aus, die so viele nicht verstehen. Ob die Investoren trotzdem Recht behalten und der Euro überlebt? Letztlich ist es ein Experiment, wie viel Komplexität eine Demokratie verträgt.