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Archiv-Artikel

Wo bleibt die Bildung?

WASSILIOS FTHENAKIS, 69, ist Entwicklungspsychologe an der Uni Bozen. Zuvor leitete er das Institut für Frühpädagogik in München.

taz: Herr Fthenakis, ab 2013 gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Können wir jetzt wieder sorglos Kinder kriegen?

Wassilios Fthenakis: Ich glaube nicht, dass dies das generative Verhalten der Bundesrepublik signifikant beeinflusst. Der Beschluss geht in die Richtung, konservativ orientierte Menschen zu befriedigen und nur langsam eine an sich längst fällige Reform einzuleiten. Eine echte Antwort auf die Probleme, die das Land hat, und auf den verfassungsmäßig garantierten Anspruch eines Kindes auf beste Bildung, ist das noch nicht.

Künftig soll Eltern, die ihr Kind nicht in staatliche Betreuung geben, ein Erziehungsbonus gezahlt werden. Legt das nicht den Grundstein für eine neue Hausfrauengeneration?

Der Politik fällt offensichtlich schwer, alte und lieb gewonnene Modelle zu verlassen. Wir haben in der bisherigen Familienpolitik direkte finanzielle Leistungen verwendet, um Familien zu helfen. Aber ob Investitionen dieser Art überhaupt ihr Ziel erreichen, muss hinterfragt werden. Das politische Signal des Erziehungsbonus ist klar: Die Mutter kann, sollte, müsste zu Hause bleiben.

Warum kritisieren Sie das?

Man weiß inzwischen, dass gerade bildungsferne Familien und Kinder mit Migrationshintergrund von außerfamiliärer Betreuung durchaus profitierten können, sie sogar mehr benötigen als andere Kinder. Durch einen Erziehungsbonus könnten sie davon abgehalten werden. Das ist keine zukunftsgerichtete Politik. Die Signale sind eher: zu Hause reicht aus und Bildung ist nicht so wichtig wie die Familie.

Nordische Länder gelten ja oft als politische Vorbilder. Dort gibt es aber längst einen Erziehungsbonus, der zudem sehr hoch ist. Sind die Befürchtungen also unbegründet?

Nein. Denn dort herrscht eine andere Philosophie. Dort werden Eltern nicht davon abgehalten, die Bedeutung der außerfamiliären Betreuung anzuerkennen und diese auch in hohem Maße zu nutzen.

Wie hätte Ihrer Meinung nach ein zukunftsgerichtetes Signal aussehen müssen?

Zukunftsgerichtet ist eine Politik, die Kindern von Anfang an faire Bildungschancen sichert. Den Eltern muss erlaubt werden, das von ihnen gewünschte Modell des Zusammenlebens umzusetzen – nicht aber auf Kosten der Kinder. Gleichzeitig muss Vätern und Müttern die Gelegenheit gegeben werden, an beiden Systemen – der Arbeitswelt und der Familie – zu partizipieren.

INTERVIEW: VEIT MEDICK