: Warten auf die kleinen Händler
Seit Jahren dümpelt die Markthalle im Wrangelkiez vor sich hin. Der Betreiber wollte dort deswegen einen „Orient-Basar“ eröffnen – und stieß auf Protest der Anwohner. Sie fordern: „Wenn Multikulti, dann richtig“. Nun wird das Konzept angepasst
Die Markthalle an der Eisenbahnstraße 42/43 ist nach Plänen des Architekten Hermann Blankenstein gebaut und am 1. Oktober 1891 eröffnet worden. Die Kosten für den Bau betrugen 1.217.000 Goldmark. Die Halle mit ihrer Klinker-Fassade und schmückenden Reliefs ist eine von vier noch bestehenden historischen Markthallen und steht unter Denkmalschutz. Im Inneren tragen gusseiserne Säulen die Holzdecke. Die Halle wurde im 2. Weltkrieg kaum beschädigt und 1948 wieder eröffnet. 1991 wurde sie revoviert. ch
VON CHRISTINA HEBEL
Die wenigen Kunden eilen Richtung Aldi, vorbei an den seit Jahren verlassenen Ständen mit den heruntergelassenen Läden oder Verkleidungen aus Sperrholz. Die Kreuzberger Eisenbahnhalle, zwischen Pücklerstraße und Eisenbahnstraße, hat wahrlich bessere Tage gesehen. „Die Markthalle ist tot“, sagt Richard Weilachen. Da gäbe es nichts drum herumzureden.
Der Geschäftsführer des Restaurants „Semi Lasso“ beobachtet seit Jahren den Niedergang des Ende des 19. Jahrhunderts erbauten Gebäudes. Ende der 70er-Jahre sei hier richtig was los gewesen: Viele kleine Stände mit frischem Obst, Gemüse und Fleisch zogen die Kunden aus dem Wrangelkiez an. Die Halle war der Treffpunkt der Anwohner. „Heute sagen sich viele: Die Eisenbahnhalle kannste vergessen“, bedauert auch Christoph Albrecht von der Anwohnerinitiative Lausitzer Platz.
Sie und viele andere im Kiez wünschen sich die alten Zeiten zurück. Für sie ist die Eisenbahnhalle eine Institution, ein Kleinod, das möglichst schnell wieder zum Leben erweckt werden muss. Wie das aussehen soll – da hat jeder seine eigene Idee: Der eine spricht von Garküchen, der andere von Ständen mit Bioware, ein Dritter wünscht sich sogar ein Zentrum für Kultur- und Medienleute.
Betreiber der Halle ist die landeseigene Berliner Großmarkt GmbH (BMG). Deren Geschäftsführer Andreas Foidl weiß um die emotionale Bindung vieler Anwohner und Geschäftsleute. Das hatten ihn die Proteste im vergangenen Jahr vor dem Umbau der Kreuzberger Marheineke-Markthalle gelehrt; damals hatte er die Betroffenheit der Menschen zunächst unterschätzt. Deshalb weiß Foidl, wie wichtig es ist, die Menschen im Wrangelkiez bei seinem Projekt einzubinden.
Foidl will das „Sorgenkind“ Eisenbahnhalle mit 50 kleinen Ständen, jeweils 4,50 oder 6 Meter breit, wieder zu einem lebendigen und damit rentablen Marktplatz machen. „Der Verfechter der Kleinunternehmer“, wie er sich selbst bezeichnet, ist deshalb im Februar mit seinem Konzept an die Öffentlichkeit gegangen. Seine Vorstellung: ein Orient-Basar in Kreuzberg.
Ein gelb-roter Prospekt auf Deutsch, Türkisch und Arabisch illustriert Foidls Vorschlag: Schnörkel, Stoffbahnen, üppig verzierte Säulen und Mosaik auf dem Fußboden sollen die 3.000 Quadratmeter große Halle schmücken. Verkauft würden Teppiche, Gewürze, Stoffe, Goldschmuck, Obst und Gemüse. Dazu würden Barbiere Haare stutzen und Schuhputzer das Leder an den Füßen ihrer Kunden auf Hochglanz polieren. 1001 Nacht in Kreuzberg?
„Nie“, war die schnelle Reaktion vieler Anwohner und Geschäftsleute. Sie wollen lieber einen internationalen Basar. Von dem versprechen sie sich einen größeren wirtschaftlichen Erfolg, weil sein vielfältiges Angebot mehr Menschen ansprechen würde. „Wenn Multikulti, dann auch richtig“, sagt Restaurantbetreiber Weilachen. Die Apothekerin Astrid Mickley-Moulla Mohamed von der Wrangel-Apotheke drückt es so aus: „Europa und alle Kontinente sollten in der Halle vertreten sein.“ Inge Boybooks, Betreiberin eines Schreibwarenladens in der Halle, betont, dass sie neben ihren türkischen Kunden auch an ihre „älteren deutschen Kunden denken“ müsse. Die würden sich in einem türkischen Orient-Markt nicht wiederfinden. Die Mischung mache es.
Foidl sieht hinter dieser Kritik auch Ängste nach der Art: „Hoffentlich kommen da nicht nur Türken rein.“ Die Ablehnung des Orient-Basars könne er „nicht ganz nachvollziehen“. Doch nach drei Treffen mit Anwohnern und Geschäftsleuten, die beide Seiten als konstruktiv bezeichnen, spricht er jetzt lieber von einem „international ausgelegten Handelsplatz“, betont aber: „Das Thema Orient haben wir nicht aus den Augen verloren.“
Der BMG-Geschäftsführer gibt zu, dass die Vermarktung der Stände langsamer laufe als geplant. Bisher seien Verträge für 20 Prozent der Fläche unterzeichnet oder kurz vor der Unterschrift, für weitere 30 Prozent der Fläche seien die Verhandlungen im Endstadium. Angaben zur Höhe der Mieten will er aber nicht machen. „Wir sind auf einem guten Weg, doch es ist sehr zeitintensiv“, sagt Foidl und begründet die Verzögerungen mit dem kleinteiligen Konzept.
Wenn 80 Prozent der Flächen vorvermietet seien – im Oktober soll es so weit sein –, beginnt der Umbau der Markthalle. 3 Millionen Euro will sich die BMG den Basar kosten lassen, zehn bis zwölf Monate sollen die Arbeiten dauern, während deren die Halle geschlossen wird. Im Keller ist eine Tiefgarage mit 63 Stellplätzen geplant. Für deren Zufahrt soll an einer Stelle die Fassade des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes durchbrochen werden. Dazu laufen derzeit Gespräche mit dem Denkmalschutzamt.
Allerdings: Damit der Umbau beginnen kann, müssen vorher noch Lösungen für die Großmieter der Halle – Aldi, Kik und Drospa – gefunden werden. „Die passen ja nicht in das Konzept. Deshalb brauchen wir passende Ersatzflächen“, sagt Foidl. Doch die wurden bisher nicht gefunden.
Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) schätzt die Verhandlungen mit den Großmietern als schwierig ein. Er hält es für „grundsätzlich möglich“, dass das Basar-Konzept aufgehen wird: „Klar ist aber, dass es die letzte Chance für die Eisenbahnhalle als Marktplatz ist.“
Das sieht auch Anwohner Albrecht so. Er wartet jetzt wie viele im Kiez ab, was die nächsten Monate bringen werden. „Herr Foidl bemüht sich sehr, ein attraktives Ergebnis für die Halle auf die Beine zu stellen. Wir hoffen, dass die Wiederbelebung klappt. Sie wird aber noch ein hartes Stück Arbeit.“ Gelingt sie, dann würde die Eisenbahnhalle nach langer Zeit bereits im ersten Jahr wieder schwarze Zahlen schreiben.