Kein Fahrdienst nach Kneipenbesuch

DOKUMENTARTHEATER Jarg Pataki und Viola Hasselberg bringen in Freiburg „Die Grünen. Eine Erfolgsgeschichte“ auf die Bühne – ein dichter, erhellender, manchmal klamaukhafter Theaterabend

Die Grünen, einstmals Sammelbecken des linksalternativen Widerstands gegen Atomkraft, sind längst angekommen inmitten der Gesellschaft, auf den Höhen der Macht, aber auch im mühevollen Klein-Klein des Politikbetriebs, der die Ideale von einst verschleißt. Der Atomausstieg ist spätestens seit Fukushima in Deutschland Konsens. Das ist nicht zuletzt den Grünen zu verdanken. Die ehemaligen Kämpfer gegen das Establishment gehören heute selbst zu den Etablierten. Sie können die Geschicke in Ländern und Kommunen mitgestalten, waren im Bund ein Partner der rot-grünen Koalition, sind jedoch auch mit der Frage konfrontiert, inwiefern es ein richtiges Handeln im falschen, sprich: in den Niederungen der Machtapparate geben kann. Was tun, wenn möglicherweise unter dem ersten grünen Ministerpräsidenten Stuttgart 21 gebaut werden muss oder die Zustimmung zum aufgeweichten Atomausstieg der konservativ-liberalen Regierung ohne Alternative ist und die grüne Basis in beiden Fällen Sturm läuft gegen die Parteiführung? Die Geschichte der Grünen ist ein janusköpfiges Erfolgsmodell. Oder um es mit Claudia Roth zu sagen: „Kannst du Teil der Bewegung bleiben und gleichzeitig regieren wollen?“

Dieses Zitat der Grünenparteichefin stammt aus dem Theaterprojekt „Die Grünen. Eine Erfolggeschichte“, das jetzt am Theater Freiburg uraufgeführt worden ist. Darin untersuchen Jarg Pataki und Viola Hasselberg (Regie und Dramaturgie) die Ambivalenz ebendieser Erfolgsgeschichte von den Anfängen der Grünenbewegung Mitte der 1970er Jahre bis zur Gegenwart mit den Mitteln des Dokumentartheaters. Das Material, das die Historie nachzeichnet, stammt unter anderem aus Parteitagsreden, Bundestags- und Grünenfraktionssitzungen, Flugblättern, theoretischen Schriften und Medienbeiträgen. Dazwischen gestellt sind Monologe, die auf eigens geführten Interviews mit prägenden Persönlichkeiten der Grünen zurückgehen.

Anders als etwa Rimini Protokoll arbeiten Pataki und Hasselberg jedoch nicht mit Laien als Authentizitätsgaranten, sondern setzen neun Schauspielerinnen und Schauspieler des Freiburger Ensembles ein. Das schafft zusammen mit den Mitteln von Abstrahierung und Verfremdung, die das Regieteam verwendet, einerseits eine produktive Distanz zum Geschehen, andererseits eine dichte künstlerische Theatralität, während allzu oft Betroffenheitstheater dabei herauskommt, wenn Laien auf der Bühne stehen.

Es sind sehr turbulente, teilweise recht komödiantische, im wahrsten Sinne des Wortes bewegte fast drei Stunden im Kleinen Haus des Freiburger Theaters. Auf einer wandelbaren Spielfläche, die aus einem quadratischen Metallgerüst und diversen Quadern mit Steinoptik besteht, hüpfen die Darsteller ausgelassen auf einer instabilen Platte, um den Höhenrausch auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Freibug 2010 zu feiern, balgen sich wild, als in den basisdemokratisch bewegten Anfängen im Bundestag um die Besetzung der Ausschüsse und die Nutzung des Fahrdienstes („Bitte nicht nach Kneipenbesuchen zu beantragen!“) gerungen wird, arrangieren sich zu einer bewegten mechanischen Skulptur à la Tinguely um die Steinquader, als friedensbewegte Ideale auf der Strecke bleiben und der grüne Außenminister Fischer 1999 auf dem Parteitag die Zustimmung zur militärischen Intervention im Kosovo durchpeitscht.

Manchmal übernimmt der Klamauk zu sehr das Ruder auf der Bühne. Über weite Strecken jedoch gelingt mittels des Konzepts von Pataki und Hasselberg, auch dank des famos spielenden Ensembles, ein erhellender und nachdenkenswerter (Rück)blick auf die Geschichte der Grünen, auch wenn der anfangs sehr konzentrierte und dichte Abend gegen Ende zusehends zerfasert.

CLAUDIA GASS