: Wo die Elbe aus der Kurve fliegt
Die schnellere Strömung knabbert am Watt, der Schwell der größeren Schiffe reißt Stücke aus dem Deckwerk: An der Unterelbe fürchten viele Anwohner um die Sicherheit der Deiche, sollte der Fluss für die Schifffahrt ein weiteres Mal vertieft werden
Das Fahrwasser der Elbe ermöglicht heute die Durchfahrt von Schiffen mit einem Tiefgang von bis zu 13,50 Metern. Die Hamburger Port Authority rechnet damit, dass künftig Frachtschiffe mit einem Tiefgang von bis zu 14,50 Metern gebaut werden. Die Fahrwassertiefe gewinnt an Bedeutung, da in Wilhelmshaven ein konkurrierender Hafen mit 18,50 Metern Tiefe gebaut wird. taz
VON GERNOT KNÖDLER
So viele gab es noch nie: Mehr als 4.000 Einwendungen gegen eine Elbvertiefung hat Hans Seidel von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord gezählt. Vor zehn Jahren seien es 640 gewesen. Viele Niedersachsen treibt vor allem die Sorge um, dass der reißende Strom die Deiche anknabbern könnte, so dass sie der nächsten Sturmflut nicht mehr gewachsen sind. Schon heute stellen sie bei Otterndorf und Cuxhaven fest, dass das schützende Watt vor dem Deich schmaler geworden ist. Den Berechnungen und Prognosen der Wasserbauer, die die Folgen einer weiteren „Fahrrinnenanpassung“ für beherrschbar halten, stehen sie skeptisch gegenüber.
Die Frage der Deichsicherheit ist der politische Knackpunkt bei der Debatte um den vom Hamburger Senat gewünschten Flussausbau. Die Niedersächsische CDU hat daraus ein Thema für die im kommenden Frühjahr anstehende Landtagswahl gemacht, allen voran der Chef der Landtagsfraktion David McAllister, dessen Wahlkreis Hadeln hinterm Deich liegt. Auch der Hamburger CDU-Senat betont, die Sicherheit der Deiche gehe vor – darauf spekulierend, dass ihm die Wasser- und Schifffahrtsämter im Planfeststellungsverfahren die Unbedenklichkeit des Projekts bescheinigen. Bei den übrigen Vertiefungen nach dem Krieg von gut fünf auf 14,50 Meter war es schließlich genauso.
„Bereits jetzt ist der Wattsockel vor Otterndorf bedrohlich erodiert“, stellt der Rat der Stadt Cuxhaven in einer Resolution zur geplanten Fahrrinnenanpassung fest. Nach der Elbvertiefung von 1999 seien die Unterwasserböschung und das Watt in diesem Abschnitt um bis zu 500 Meter abgetragen worden, erklärt der Anwalt des Rats. Er beruft sich dabei auf Unterlagen des Wasser- und Schifffahrtsamtes. „Extrapoliert man die Folgen der bisherigen Vertiefungsmaßnahmen auf die geplante erneute Fahrrinnenanpassung, müssen die Veränderungen am Prallhang im Bereich Otterndorf/Altenbruch abermals zunehmen“, schreibt der Anwalt. Am Glameyer Stack zwischen Otterndorf und dem zu Cuxhaven gehörenden Altenbruch sei das Watt messbar um 70 Meter schmaler geworden. Die Strömung habe ufernah bis zu 30 Meter tiefe Löcher im Flussbett ausgekolkt.
Vor Otterndorf verläuft die Fahrrinne nah am Ufer. Das Wasser saust hier in eine Kurve, so dass es im Süden beständig Sand und Schlick fortreißt, während es auf der Nordseite des Stroms Sediment liegen lässt. Die Auskolkungen seien kein Wunder, sagt Torsten Heitsch, Geschäftsführer des Hadelner Deich- und Uferbauverbandes. „Da steht ein starkes Bauwerk in einer starken Strömung.“
Schon jetzt gebe es hier die stärkste Strömung an der ganzen Elbe. Zudem sei hier auch die stärkste Strömungszunahme prognostiziert. „Grundsätzlich treten die höchsten Strömungsgeschwindigkeiten in der tiefen Hauptrinne der Elbe auf“, heißt es in den Planfeststellungsunterlagen zur Vertiefung. Die mittlere Strömungsgeschwindigkeit vor Otterndorf werde sich um mindestens zehn Prozent erhöhen, schätzen die Gutachter. „Glameyer Stack ist kein Bauwerk, sondern eine Dauerbaustelle oder auch ein Verschleißkörper, denn die Kraft des Wassers übersteigt die konstruktiven Möglichkeiten der Wasserbauer“, meint das Regionale Bündnis gegen die Elbvertiefung.
Aus Sicht von Verbandsgeschäftsführer Heitsch kommt ein weiteres Problem hinzu: Die immer größer werdenden Schiffe erzeugen immer stärkere Wellen. „Die großen Schiffe sind heute schon nicht unproblematisch“, sagt Heitsch. Ihr Schwell schädige das Deckwerk am Übergang zwischen Wasser und Deich. „Sie können gucken“, sagt Heitsch, „wie die Steine durch die Gegend fliegen.“ Noch gebe es allerdings keine Schwierigkeiten, den Deich zu halten, räumt er ein. Allerdings wären da noch die Setzungen und Rutschungen des Deichs beim Glameyer Stack. Auch die seien „noch nicht sicherheitsrelevant“, sagt Heitsch. Es sei aber unklar wie es dazu habe kommen können.
Heitsch fragt sich, was geschieht, wenn zwei schwere Sturmfluten kurz hintereinander auf den Deich knallen, so dass die Zeit nicht reicht, den vorgeschädigten und geschwächten Deich zu reparieren. Die Leute am Strom seien auf die Kombination Deich, Deckwerk, Vorland und Watt angewiesen, sagt er. Denn hier bei Otterndorf ist der Mündungstrichter der Elbe schon weit offen. „Wir haben hier Nordseewellen“, sagt Heitsch. Watt und Vorland seien nötig, um die See zu bändigen.
„Unter- und Außenelbe sind morphologisch sehr aktive Gebiete“, sagt Detlef Wittmüß vom Wasser- und Schifffahrtsamt Hamburg. Ständig werde an manchen Stellen das Ufer abgetragen und an anderen angeschwemmt. Die staatlichen Wasserbauer glauben, diese Dynamik mit Buhnen, Dämmen, künstlichen Sandbänken und immer ausgefuchsteren Strömungsmodellen im Griff behalten zu können. Die Sturmflutwasserstände erhöhten sich durch die Vertiefung nur um wenige Zentimeter, sagt Wittmüß. Mit dem Problem der Schiffswellen könnten die Wasserbauer umgehen. „Die Deichsicherheit“, lautet Wittmüß’ Fazit, „wird durch die Fahrrinnenanpassung nicht beeinträchtigt.“