: Entfernte Nähe
Die Stille nach dem Schuss: Rachel Seifferts „Danach“ ist ein Roman über eine Liebeseroberung, die missglückt, und einen Krieg, der nie endet
VON NINA APIN
Der Beginn einer Liebesbeziehung gleicht dem Entdecken eines fremden Landes. Man erkundet Terrain, und zum faszinierten Abtasten der fremden Existenz gesellt sich früher oder später der Drang zur Eroberung der Terra incognita. Man will Freunde kennenlernen und die Mutter, Fotos sehen, Geschichten aus der Vergangenheit erfahren, sich Stück für Stück Teilhabe am Anderen aneignen. Ob dieser Annäherungsprozess einem Blitzkrieg oder einem Feldzug mit beharrlichem Vordringen und Rückzug gleicht, ist eine Frage des Temperaments. Wenn alles gut geht, sind früher oder später die Freundeskreise verzahnt und Wohnung, Familie und Vergangenheit des Partners bekannt. Was aber, wenn der Forscherdrang auf Widerstand stößt? Wenn der Andere einen Teil seines Lebens, seiner Vergangenheit wegsperrt? Wie viel Preisgabe des Eigenen, wie viel Vertrauen braucht Liebe eigentlich?
Die 1971 geborene britische Schriftstellerin Rachel Seiffert hat einen erschreckend präzisen Roman über eine gescheiterte Eroberung geschrieben. Alice und Joseph, beide um die dreißig, lernen sich auf einer Party kennen. Sie ist Krankengymnastin, bodenständig mit Familiensinn, er ein eigenbrötlerischer Handwerker. Seiffert reduziert die Liebesgeschichte auf unspektakuläre, prägnante Szenen. Sie beobachtet die Stationen der Annäherung wie unter einem Mikroskop: Die Freude über seinen ersten Anruf, die Alice vor ihrer Mitbewohnerin verbirgt. Der unbeholfene erste Sex, in Kleidern nachmittags in seiner Wohnung. Ein Wanderurlaub. Die sich entspinnende working-class-Romanze wird in einem fast klinisch distanzierten Ton erzählt, die wechselnde Perspektive macht es dabei unmöglich, einseitige Sympathien zu entwickeln.
Jedoch: Das Pärchenglück wird immer wieder von Josephs bruchstückhaften Erinnerungen an seine Militärzeit bei den britischen Besatzertruppen in Nordirland durchbrochen. Eine Fahrzeugkontrolle, ein Schuss aus seiner Waffe, Bilder, die er nach Jahren nicht abschütteln kann, die sich immer wieder hinterrücks in seinen Alltag schleichen und alles zerstören. „Er wusste, dass irgendetwas von früher auf dem Weg zu ihm war. Er wusste es schon Tage vorher und er hatte es auch diese Woche gespürt: nach Hause fahren, nicht ans Telefon gehen, kein Kontakt mit Alice.“
Alice ist verletzt, verlangt Erklärungen, doch Joseph verstummt immer mehr. Als Joseph das Haus von Alice’s Großvater renoviert, der als Kriegsveteran ebenfalls mit einer unbewältigten Schuld lebt, vermischen sich die Erzählstränge. Im Schweigen Josephs wiederholt sich das Kriegstrauma, das einst der Großvater in die Familie trug.
„Danach“ erzählt nicht nur eine unerfüllte Liebesgeschichte, es ist auch ein Roman über Eroberung und Krieg. Alice und Joseph haben keine Chance. Er will vergessen, sein beschädigtes Innerstes schützen und verlangt von der Frau, die er liebt, Schonung. Sie aber kann nicht mit einem Partner glücklich werden, über den sie so vieles nicht weiß. Im Kampf um das letzte uneroberte Stück seiner Biografie wird sie selbst zur Kriegsführenden und der ehemalige Soldat erneut Opfer seiner Schuld. Eine Tragödie, unsentimental und doch mitfühlend erzählt von einer scharfen Beobachterin.
Rachel Seiffert: „Danach“. Aus dem Englischen von Barbara Heller. Knaus Verlag, München 2007, 270 Seiten, 18 Euro