: The British Connection
FILMFEST In dieser Woche werden auf dem 22. Internationalen Filmfest Emden-Norderney insgesamt 102 Filme aus 21 Ländern präsentiert. Dabei sind neue britische und irische Produktionen stark vertreten
VON WILFRIED HIPPEN
Kein deutsches Filmfest ist geografisch näher an den britischen Inseln gelegen, und so kann man fast sagen, die Emdener pflegen ihre Nachbarschaft, wenn sie traditionsgemäß viele Filme aus Großbritannien und Irland im Programm ihres Filmfestes platzieren. Doch auch der im britischen Kino immer noch beliebte sozialkritische Realismus wird den Veranstaltern des Filmfestes von Anfang an gefallen haben, denn dieses ist aus der Arbeit der Volkshochschule erwachsen, und dass neben dem Bernard Wicki-Preis jeweils ein DGB- und ein AOK-Filmpreis verliehen werden, sind weitere Hinweise darauf, dass in Emden eher bodenständiges als feinsinniges Kino gezeigt wird.
Die neuen Filme von Michael Winterbottom, Mike Leigh, Neil Jordan und Ken Loach fangen dem kleinen Filmfest in Ostfriesland inzwischen die A-Festivals wie Cannes und Venedig weg, aber dafür bietet Emden immer wieder einen guten Überblick auf die britische und irische Film-Ernte des Jahres, und diesmal stellt immerhin Jim Loach, der Sohn von Ken, sein Kinodebüt „Oranges and Sunshine“ vor. Der routinierte Regisseur von Fernsehserien erzählt darin von einem der verschwiegenen Skandale der britischen Geschichte. Im 19. Jahrhundert wurden tausende Kinder aus armen Familien nach Australien deportiert. Emily Watson spielt eine Sozialarbeiterin, die alles versucht, um ihnen ihre wahre Identität zurückzugeben. „Archipelago“ von Joanna Hogg wird wegen ihrer langen, sehr intimen Einstellungen mit den Werken des japanischen Altmeisters Ozu verglichen. Sie erzählt darin, wie eine Familie auf einem Urlaub auf den Scilly Inseln vor der Küste Cornwalls langsam implodiert. „Submarine“ von Richard Ayoade ist eine schräge Coming-of Age-Komödie, in der von dem 15-jährigen Oliver Tate erzählt wird, der sich in lebhaften Fantasien den eigenen Selbstmord und seine trauernden Mitschüler ausmalt und einen leichten Hang zur Pyromanie hat.
In „The Guard“ von John Michael McDonagh spielt Brendan Gleeson eine sturen irischen Dorfpolizisten, der es sich gerne in seinem Örtchen gemütlich macht bis dort plötzlich ein Drogenkrieg mit toten Kurieren und FBI-Agenten ausbricht. In der Komödie „The Infidel“ von Josh Appignanesi erfährt ein frommer moslemischer Taxiunternehmer plötzlich nach dem Tod seiner Mutter, dass er adoptiert wurde und eigentlich ein Jude ist. Insgesamt acht Filme werden in der Progammschiene „New British & Irish Cinema“ vorgestellt, und in einer Werkschau laufen zudem fünf Filme des diesjährigen Oscargewinners Colin Firth, darunter die leider unterschätzte Adaption des Stückes „Easy Virtue“ von Noël Coward durch den Regisseur Stephan Elliott.
Einer der Höhepunkte der Internationalen Reihe ist der kanadische Film „Die Frau die singt“ von Denis Villeneuve, in dem in einer kunstvoll verwobenen Geschichte von einer Flüchtlingsfamilie aus dem nahen Osten erzählt wird, die in Kanada die schreckliche Vergangenheit nur bewältigen kann, indem sie sich ihr stellt. In dem chilenischen Film „Huacho“ von Alejandro Fernández wird in der Form einer berührenden Familiengeschichte davon erzählt, wie auch die lateinamerikanische Provinz von der Globalisierung verändert wird. In der taz lobte Ekkehard Knörer, der Regisseur arbeite „sein Porträt einer am Rand des Verhungerns lebenden Familie mit schöner Geduld und genauer Handkamera aus“. Dany Boon, der mit „Willkommen bei den Sch’tis“ eine der erfolgreichsten europäischen Komödie der letzten Jahre drehte, hat nun mit „Rien à déclare“ eine ähnliche Geschichte inszeniert. Darin streiten sich ein belgischer und ein französischer Zollbeamter, deren Arbeitsplätze durch das Schengener Abkommen gefährdet sind.
In der Reihe mit neuen deutschsprachigen Filmen wird als Erstaufführung die Dokumentation „Roboter zum Kuscheln – Heilsam für Demenzkranke?“ von Annette Wagner gezeigt, in der von der „Emotionalen Robotik“ berichtet wird. Das niedliche Robbenbaby auf dem Filmfoto ist tatsächlich ein Computer im Körper eines Kuscheltiers, und diese Maschinen werden versuchsweise in der Altenpflege bei Demenzkranken eingesetzt. Einer der Publikumslieblinge dürfte in diesem Jahr die serbisch/deutsche Produktion „Belgrad Radio Taxi“ von Srdjan Koljevic werden, in dem ein Taxifahrer das Baby einer Frau auf seinem Rücksitz findet, die gerade vor seinen Augen in einen Fluss gesprungen ist. Die Geschichte vom bärbeißigen Einzelgänger, der plötzlich Vater-Aufgaben bewältigen muss, wird immer wieder gerne erzählt, und dies ist eine besonders komisch und warmherzig inszenierte Variante.
■ Das 22. Internationalen Filmfest Emden-Norderney wurde am Mittwochabend eröffnet und findet bis zum 22. Juni statt. Informationen finden sich unter www.filmfest-emden.de.