Die Ausstellung als Birthday Party

EXZENTRIK Selbstironisch, theatralisch, verspielt, elegant: Die amerikanische Malerin Florine Stettheimer im Lenbachhaus München

VON ANNEGRET ERHARD

Erstmals sind Florine Stettheimers Bilder in Europa zu sehen, im Lenbachhaus in München. Ihre zeitlebens erste und letzte Einzelausstellung hatte die 1871 in Rochester, N. Y., geborene Tochter aus vermögender Familie 1916 in der renommierten New Yorker Galerie M. Knoedler & Co., da war sie Mitte vierzig.

Dennoch war sie keine Spätberufene. Sie hatte an der Art Students League in New York studiert, bevor sie mit ihrer Mutter und den beiden Schwestern Carrie und Ettie auf ausgedehnten Reisen die großen Museen, die wichtigen Ausstellungen, Ballett- und Opernaufführungen in Paris, Wien, London und all den anderen europäischen Kulturzentren besuchte. Bei längeren Aufenthalten – München war ein nahezu alljährlicher Fixpunkt – nahm sie Unterricht und mietete ein Atelier.

1914 setzte der Beginn des Ersten Weltkriegs dem überaus kultivierten Vagabundieren des anspruchsvollen Damenquartetts ein Ende. Man kehrte zurück an die New Yorker Upper Westside, wohnte von nun an bis zum Tod der Mutter 1935 zusammen – der Vater hatte die Familie schon früh verlassen – und etablierte einen Salon, in dem sich bald Pariser Expats wie Marcel Duchamp, Francis Picabia, das Ehepaar Gleizes und Leo Stein, der Bruder von Gertrude, mit dem Fotografen und Avantgarde-Galeristen Edward Steichen und mit Alfred Stieglitz angeregt austauschten.

Obsessionen und Attitüden

Die Treffen waren legendär, die Gastgeberinnen exzentrisch. Carrie, die Ältere, brillierte mit ultramodischen Kreationen und raffinierter Cuisine, die promovierte Philosophin Ettie, die Jüngste, war geistreich und kapriziös, Florine war die bei aller Zugewandtheit distanzierte Beobachterin. Fast alle Gäste nehmen Rollen in den Bildern ein, ebenso wie Florine selbst und ihre Schwestern, mit Attributen, die ihre Obsessionen und Attitüden widerspiegeln und von ihren künstlerischen Leistungen erzählen.

Entlarvend sind Haltung und Gestik, Physiognomie und Statur sind nachrangig. Florine hat sich die Alten Meister in Wien und München sehr genau angeschaut. Aber sie macht das mit leichter Hand, scheinbar flüchtig, nichts wirkt gezwungen, nichts kommt ernst und bedeutungsvoll daher, die Farben leuchten, die allgegenwärtigen Bouquets und Blütenarrangements verströmen femininen Esprit.

Das Personal tritt stets elegant, manieristisch überlängt auf, Stoffe und Dekore verweisen auf Matisse, die Kompositionen mit den oft hochgeklappten Perspektiven und mit einem zweiten Erzählstrang im Hintergrund interpretieren Duchamp und dessen Begriff der Mulitplication virtuelle.

Florine Stettheimer wird von Malerkollegen geschätzt, die öffentliche Wahrnehmung ist gering. Ihr Stilmittel ist das Neorokoko, mit dem sie sich immer wieder gefährlich dem Kitsch nähert. Doch wenn sie Nijinsky in roter Robe unter zartem Geäst Pirouetten drehen lässt, begleitet von einem Pianisten, bewundert von einem Freund, daneben sie selbst hingegossen auf ein Himmelbett; wenn sie paarweise besetzte Boote auf einem nächtlichen, von Lampions beschienenen See um ein Feuer (!) gruppiert, dann arbeitet sie mit einer selbstironischen Theatralik und Verspieltheit, die in ihrer Überstilisierung reinster Camp ist und später naturgemäß die Aufmerksamkeit von Andy Warhol hervorrufen musste.

Genussreicher Spott

Ihre Schlüsselwerke sind die „Cathedrals“, vielfigurige Großformate, in denen sie die Stützpfeiler der amerikanischen, vor allem der New Yorker Gesellschaft – Geld, Konsum, Politik, die Künste – genüsslich und mit vielen Querverweisen verspottet. Am eindrucksvollsten der „Spring Sale at Bendel’s“, da werden die gutsituierten Damen zu selbstvergessenen Furien. Wie gründlich sie sich über Gepflogenheiten hinwegsetzen konnte, belegen ihre liegenden Akte, Selbstporträts, in denen sie sich als Odaliske darstellt, in Manet’scher Manier oder zart verschleiert. Damit eignet die Malerin sich rigoros ein bislang unerschlossenes Terrain an und belegt, dass es zur Darstellung eines weiblichen Akts, schon gar des eigenen Körpers, nicht des männlichen Blicks bedarf. Mit Expressionismus, Kubismus, gar Abstraktion hat sie sich so gut wie gar nicht auseinandergesetzt, wie aus ihren Tagebüchern hervorgeht. Sie stand dem frühen Surrealismus nah und ihrem Vorbild und Freund Duchamp, den sie immer wieder porträtierte, originell, versponnen und hingegeben.

Die Ausstellung im Kunstbau der Städtischen Galerie im Lenbachhaus deutet mit wenigen Akzenten, wie den milchig transparenten, zu Vorhängen gebauschten Plastikplanen, die Lebens- und Geschmackswelt der Künstlerin an. Trennwandhohe zeitgenössische Aufnahmen dokumentieren die Boudoir-Atmosphäre im Atelier Stettheimers: alles weiß, viel Spitze, viel Pseudorokoko nach eigenen Entwürfen, viele Sächelchen, die Regale und Fenster mit Cellophanvorhängen dekoriert. Camp eben und einer Queen of Queer sehr angemessen.

Hier hat sie ihren Freunden auf „Birthday Partys“ ihre neuesten Bilder vorgestellt. Eines der schönsten beschreibt ein solches Ereignis. Wieder mit dem bewährten Personal, im Hintergrund das Bildnis der Künstlerin als Odaliske, zwei Herren betrachten am vorderen Bildrand stehend in affektierter Kritikerpose ein Gemälde, das aus unserer Perspektive nicht zu sehen ist. Im Handumdrehen ist das Ereignis relativiert. Diese selbstironische Distanz, dieser heitere Sarkasmus verrät einiges über ihre Verletzlichkeit, ihren Stolz, der in einen Verzicht auf Öffentlichkeit mündete. Sie hasste, wie sie sagte, den kommerziellen Aspekt des Kunstbetriebs.

Einst, bei Knoedler, hatte sie den Ausstellungsraum fast vollständig mit Möbeln und Drapierungen in ihr Damenatelier verwandelt und die Gemälde, übrigens ganz nach ihren Vorstellungen und oft sehr seltsam gerahmt, in dieses Ambiente integriert. Das hat keiner so richtig kapiert. Kein einziges Bild wurde verkauft. Dieser Ignoranz wollte sie sich nicht mehr stellen. Bis zuletzt, da wäre sie fast weich geworden. Doch 1944, während der Verhandlungen mit Durlacher Brothers, stirbt sie 73-jährig.

■ Bis 4. Januar, Lenbachhaus München, Katalog (Hirmer) 34 Euro