Millionen für Mauern

Niedersachsen realisiert den Klimawandel: Deiche sollen nun 25 Zentimeter „Sicherheitszuschlag“ bekommen

BREMEN taz ■ Bei Sturm ist heute schon Land unter. Über einen Meter hoch stand das Wasser erst vor wenigen Wochen auf der „Schlachte“, der beliebten Uferpromenade am Weserufer in Bremen. FußgängerInnen und RadfahrerInnen nahmen Reißaus, die Restaurantschiffe, die dort vor Anker liegen, machten Zwangspause: Zugang nur per Schlauchboot.

Künftig, warnt der Bremer Deichhauptmann Michael Schirmer, wird dieses Szenario noch häufiger Realität werden. Steigender Meeresspiegel, stärkere Tiden, heftigere Winde und entsprechend größere Sturmfluten – die Folgen des Klimawandels sind selbst im Stadtzentrum von Bremen, immerhin 60 Kilometer von der Nordseeküste entfernt, deutlich zu spüren. Um bis zu anderthalb Meter müssen die Deiche und Spundwände, die vor dem Wasser schützen, hier in den nächsten Jahren wachsen.

Das stellt nicht zuletzt die StadtplanerInnen vor ernsthafte Probleme. Nähe zum Wasser gilt ihnen als Attraktion – Hochwasserschutz ist oft das Gegenteil davon. Und teuer: Auf 110 Millionen Euro veranschlagt das Umweltressort allein die in den nächsten zehn Jahren nötigen Deichausbauten in Bremen und Bremerhaven. Die höheren Unterhaltskosten, traditionell von den GrundstückseigentümerInnen zu tragen, sind da noch gar nicht eingerechnet.

Niedersachsen kalkuliert für den Ausbau der Deiche entlang der Nordseeküste Ausgaben von 520 Millionen Euro. 110 Kilometer Schutzwall zwischen Emden und Buxtehude, so steht es im Entwurf des Generalplans Küstenschutz, den Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) kurz vor Weihnachten präsentierte, sind schon zu niedrig, wenn man nur den tektonisch verursachten „säkularen“ Meeresspiegelanstieg berücksichtigt.

Dass der Klimawandel schon in wenigen Jahren noch weitaus höhere Wasserstände erwarten lässt, hat der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserbau, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) bei seinen komplizierten Berechnungen bisher völlig außen vor gelassen. Es sei „nicht klar, wohin die Reise geht“, begründete Sprecherin Herma Heyken diese Strategie. Statt Deiche und Sperrwerke schon heute höher zu bauen, wolle man lediglich die entsprechenden Fundamente stärker auslegen, um Spielraum nach oben zu haben. Ansonsten werde man „die Augen auflassen“, erklärte sie. Das stieß bei den Bremer DeichschützerInnen auf heftige Kritik.

Dann präsentierte die UN den neuesten Klimawandelbericht – und Sander bekam buchstäblich nasse Füße. Er zog den gerade zwei Monate alten Küstenschutzentwurf des NLWKN zurück und verordnete eine „Denkpause“. „Wir sind immer am Kucken, ob es Anpassungsbedarf gibt“, so sein Sprecher.

Nachgedacht wird insbesondere über einen pauschalen „Klima-Sicherheitszuschlag“ von 25 Zentimetern für alle Deiche. Ausgehend von den höheren Wasserständen, wäre es eigentlich fachlich korrekt, für jeden Deichabschnitt komplett neue Sollhöhen zu berechnen. Dafür aber, so heißt es in Bremen, „ist keine Zeit mehr“. ARMIN SIMON