besoffene, kotzende und lärmende flegel von RALF SOTSCHECK:
Der Engländer an sich ist ein geräuschvolles Volk. Vor allem, wenn er trinkt.
Der Richter Charles Harris beklagte kürzlich, seine Landsleute seien so schlecht erzogen, dass sie keine akzeptablen Mengen an Alkohol wie anderswo in Europa – außer in Irland – zu sich nehmen können. „Je mehr es zu trinken gibt und je mehr Zeit sie dafür haben, desto mehr werden sie trinken“, schrieb er in einem Gutachten über die Folgen der verlängerten Sperrstunde in England. „Eine Gallone ist normal, zwölf Pints sind keine Seltenheit. Und diese Mengen an Bier werden mit diversen Schnäpsen verdünnt. Die Lage ist ernst, wenn nicht sogar grotesk. Es grenzt an Wahnsinn, die Gelegenheit, zu trinken, noch auszudehnen. Es bedeutet, dass unsere Innenstädte jede Nacht Banden von kampflustigen, besoffenen, lärmenden und kotzenden Flegeln überlassen werden.“
Das typische Geräusch für eine englische Kleinstadt in einer beliebigen Samstagnacht sei das Reihern eines Trunkenboldes. In einer Studie ist es zum widerwärtigsten Geräusch der Welt erklärt worden. Akustikprofessor Trevor Cox von der Universität Salford hat jetzt das Ergebnis seiner einjährigen Untersuchung veröffentlicht. Er hat 1,1 Millionen Menschen befragt, um herauszufinden, warum bestimmte Geräusche so anstößig sind. Bei der Verkündung des Ergebnisses demonstrierte ein Schauspieler den Sound des Übergebens mit Hilfe eines Eimers gebackener Bohnen.
Der erbrechende Engländer verwies den Zahnarztbohrer, das brüllende Baby, den Brunftschrei einer Katze, das Klingeln eines Handys und die Rückkopplung eines Mikrofons auf die Plätze. Schnarchen landete sogar nur auf dem 26. von 34 Plätzen. Hoch im Kurs der Ekelgeräusche stand dagegen das Kreischen einer Eisenbahn auf den Schienen. Das ist aufgrund der veralteten Bahnanlagen ein speziell englisches Problem. Dabei können die Engländer seit der Bahnprivatisierung froh sein, wenn die Züge überhaupt noch fahren.
Cox hatte eigentlich erwartet, dass das Quietschen eines Fingernagels auf einer Schiefertafel ganz oben rangieren würde, da es einen historischen Reflex auslöse: Das Geräusch ähnelt dem Schrei von Affen, die ihre Artgenossen vor Gefahr warnen wollen. Aber die Befragten empfanden es nicht schlimmer als das Hochziehen von Rotz oder das Zerknautschen von Styropor.
Die meisten Geräusche sind für Frauen unerträglicher als für Männer, lediglich bei lärmenden Babys gaben die Männer Höchstnoten in der Skala des Grauens. Auch das Alter spielt offenbar eine Rolle: Der Zahnarztbohrer ist für unter Zehnjährige und für Menschen zwischen 40 und 50 besonders unangenehm, weil sie in dem Alter ständig damit in Berührung kommen.
Was ist der Sinn der Umfrage? „Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus verstehen wir eigentlich gar nicht, warum manche Geräusche so schrecklich sind“, sagt Professor Cox. „Wenn wir herausfinden, was die Leute stört, können wir Wissenschaftler die betreffenden Geräusche in manchen Fällen vielleicht eliminieren.“ Ein guter, ja genialer Plan. Aber es ist vermutlich illegal, Millionen von Engländern zwischen 12 und 30, die an den Wochenenden die Bürgersteige vollkotzen, zu eliminieren.
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