: „Schwul und links geht nicht“
HOMOS Gartenzwerge, Pornos und die schöne Heimat im weltweiten Dorf: Ein Drei-Generationen-Gespräch mit dem schwulen Verleger Bruno Gmünder
■ Jahrgang: 1957
■ Ausbildung: Abgebrochenes Jura-Studium
■ Beruf: Bislang Deutschlands größter schwuler Verleger. Unternehmer.
■ Berufung: Aktivist. War im Jahr 1982 Mitgründer der Deutschen Aids-Hilfe, baute die schwule Buchhandlung „Prinz Eisenherz“ in Berlin mit auf. Unterstützt regelmäßig schwule Projekte.
■ Wohnhaft: Berliner Innenstadt und Berliner Umland
■ Zukunft: Zieht sich aus dem aktiven Verlagsgeschäft zurück. Wird aber weiter umtriebig bleiben.
INTERVIEW MARTIN REICHERT UND PAUL WRUSCH
Martin Reichert: Herr Gmünder, würden Sie als Verleger einem jungen Publizisten raten, sich mit dem Thema Homosexualität beruflich auseinanderzusetzen?
Bruno Gmünder: Es schadet definitiv seiner Karriere, vor allem wenn er selbst schwul ist.
Paul Wrusch: Inwiefern?
Weil er dann von allen Kollegen marginalisiert, bagatellisiert wird. Du wirst immer in die Ecke geschoben, das ist Schicksal. Das ging mir die letzten 30 Jahre so. Das muss Ihnen klar sein, dann müssen Sie sich da drin einrichten, sich wohl fühlen.
Reichert: Und, fühlen Sie sich wohl?
Ich hab mir meine Gartenzwerge aufgestellt, Regenbogenflaggen gehisst und gesagt: In diesem Dorf, da leb ich.
Reichert: Immerhin ein weltweites Dorf.
Ja, das ist richtig. Es ist als Heimat eine tolle Verortung. Es ist aber auch klar, dass es jenseits vom Gartenzaun noch alles andere gibt.
Wrusch: Wir haben einen schwulen Außenminister. Vielleicht gibt es diese Zäune gar nicht mehr?
Doch. Schwule, und ich gehöre ja leider auch dazu, haben immer nach Gleichheit geschrien. Es geht aber um was Anderes, nämlich um die Akzeptanz des Andersseins. Wir sind jetzt so weit, dass viele sagen, die Homos sollen auch heiraten können. Ich habe das nur mitgetragen, weil ich dachte – analog zu den Afroamerikanern –, wenn schon alle im Bus fahren wollen, will ich auch vorne einsteigen dürfen. Jetzt dürfen wir hinten einsteigen und uns noch artig bedanken. Die Kernfrage ist aber: Wollen wir überhaupt in den Bus einsteigen? Da habe ich meine Zweifel – die Ehe passt gar nicht zu uns.
Reichert: Hätten Sie gerne eine Familie gehabt?
Am liebsten hätte ich eine Frau, Kinder und einen Liebhaber gehabt. Aber die Gesellschaft hat das nicht zugelassen und die Community auch nicht. Aber ich habe ja eine Familie. Ich habe eine Mann und auch damit seine Mama am Hals.
Reichert: Sie sind also doch verpartnert?
Nein, noch nicht. Wir sind jetzt zehn Jahre zusammen. Und jetzt wollen wir uns verpartnern.
Wrusch: Boris Palmer von den Grünen würde die Schwulen, um Ihr Bild aufzugreifen, lieber wieder hinten einsteigen lassen, damit vorne mehr Platz für seine Freunde von der Union ist.
Da sieht man die machtpolitische Dehnbarkeit bei unseren Bündnispartnern der Grünen. Das ist aber auch nichts wirklich Neues. Ich werfe das den Grünen nicht vor. Sie müssen immer wieder ihr Profil neu bestimmen. Und ich habe mich auch nie parteipolitisch verstanden, habe viele unterstützt. In Berlin habe ich Klaus Wowereit gewählt, in Hamburg hätte ich wohl Ole von Beust gewählt.
Reichert: Wird Wowereit mal Kanzler?
Die SPD ist nicht bereit für einen schwulen Kanzler.
Wrusch: Und Deutschland?
Nein. Das würde Klaus auch nicht machen, da ist er zu realistisch. Viel schlimmer hat es ja auch Ole von Beust gekriegt. Der ist innerhalb der Partei ziemlich weit gekommen und musste merken, das hat leider keine Perspektive mehr. Deshalb hat er es geschmissen.
Reichert: Vielleicht wollte er auch einfach nur in Ruhe mit seinem jungen Freund leben, ohne hinter vorgehaltener Hand in einen verschwurbelten Pädo-Zusammenhang gestellt zu werden.
Ich würde diesen Gedanken nicht völlig streichen. Aber was das Thema Pädosexualität angeht, da werfe ich aber auch unseren Schwulenverbänden vor, dass wir zur Missbrauchsgeschichte wahnsinnig intensiv und lautstark geschwiegen haben. Da hätten die Schwulen durchaus etwas zu sagen müssen.
Reichert: Warum ist das nicht geschehen?
Es ist wie ein Familienerbe, das man lieber verdrängen möchte. Wir müssen aber damit leben, wie es war, dass wir das im Großen und Ganzen damals als Linke akzeptiert haben.
Wrusch: Als Linke?
Was wir jetzt im Nachhinein lesen, ist in Teilen furchterregend und in Teilen wollte man es gar nicht so genau wissen. Als von Peter Schult – einem Freund von mir, der als Journalist in der Roten Hilfe engagiert war – vor Gericht die Akten mit belastenden Aussagen von Jugendlichen verlesen wurden, da haben wir gesagt: Das ist alles vom Staatsschutz, das ist er nicht. Das kann nicht sein. Die Guten gegen die Bösen. Dass die Welt nicht aus Schwarz und Weiß besteht, das ist dann alles ein Lernprozess gewesen.
Wrusch: Junge Schwule sind eher unangenehm berührt von solchen Schatten der Vergangenheit.
Ich war da mittendrin. Wir hatten in unserer schwulen Buchhandlung Prinz Eisenherz eine Abteilung mit Knabenliebe. Haben damit kokettiert. Die Pädogruppen haben sich bei uns getroffen. Wir fanden das okay, wollten denen helfen, nach außen aufzutreten.
Reichert: Selbstbestimmte Sexualität auf Kosten von Kindern, die noch nicht selbstbestimmt sind.
Diesen Aspekt haben wir nie gesehen. Wir wollten ihn nicht sehen. Die Akteure, das waren die Älteren. Und die haben immer gesagt: Die Jungs wollen ja zu uns, die verführen uns. Die Welle, die jetzt losgetreten wurde von den Jungs, die missbraucht wurden, das hat mich erschüttert. Da habe ich mich gefragt, warum ich da nie nachgefragt habe. Stattdessen haben wir über die Weltrevolution diskutiert.
Reichert: Heute gehen die meisten Junghomos davon aus, dass die Kämpfe längst gekämpft sind. Schlimm?
Nein, es wäre ja schön, wenn heute die Jungen mit sich versöhnt sind. Ich glaube es nur nicht. Ich war ja bis 1978, bis ich 22 war, nicht schwul. Ich war links. Ich hatte auf dem Internat Lenin, Stalin und Marx an der Wand hängen, saß in Stammheim in den Verhandlungen. Erst als unsere WG unter Polizeibewachung stand und wir keinen Schritt mehr ohne die Bullen machen konnten, da habe ich es nicht mehr ausgehalten. Der Befreiungsschlag war 1978 der Tunix-Kongress in Berlin.
Reichert: Dort wurde auch die Gründung der taz beschlossen.
Ja, die Stimmung war: Wir ärgern uns nicht mehr mit dem Staat rum, da landen wir nur im Knast. Wir wollten konkrete Projekte anschieben. So entstand dann die schwule „Prinz Eisenherz Buchhandlung“.
Wrusch: Die haben Sie gegründet?
Nein, ich kam erst später dazu. Über meinen damaligen Freund, Christian von Maltzahn, ein Aktivist. Die Jungs aus seinem Umfeld haben mich gefragt, ob ich mitmache. Dann habe ich eine Coming-out-Gruppe gemacht.
Wrusch: Wie lange waren Sie da schon geoutet?
Ich war noch nicht geoutet. Ich war ja auch nicht schwul. Es war letztlich eine Selbsterkennung, während ich die Gruppe geleitet hatte. Vorher habe ich mit Christian einfach nur gefickt, zeitgleich hatte ich Freundinnen. Das alles war sogar meiner WG zu viel, die haben mich dann rausgeschmissen. Erst später habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, eine Identität zu haben.
Reichert: Im Dorf zu sein mit den Regenbogenfahnen. Und Sie sind dann ein ganz großer schwuler Gartenzwerg, oder?
Es macht schon Spaß, einer der großen Gartenzwerge in dem Lustgarten zu sein. Und es ist toll, wenn einem immer mal wieder, jetzt gehe ich auf die 60 zu, ein Praktikant einen bläst. Man kann in der Community sehr viel Spaß haben. Sie ist sehr menschlich. Nicht so wie die Linken, verzehrend, brutal und gehässig.
Wrusch: Sie sagen ernsthaft, dass schwul sein und links sein nicht zusammengeht?
Überhaupt nicht.
Wrusch: Links und schwul geht nicht?
Das geht nicht. Die Linken missbrauchen dich immer. Als Köder, als Verräter, sehr gerne. Zu gegebener Zeit lassen sie dich dann hochgehen. Das Spiel kennen wir zu Genüge. Die Linken haben immer mit den Schwulen gespielt. Vom Grundansatz haben sie einen humanistischen Ansatz, in wesentlichen Punkten aber haben sie die Schwulen im Stich gelassen.
Reichert: Wen meinen Sie denn genau mit „den Linken“?
Links ist ja ein weiter Begriff. Ich würde mich heute nicht mehr als links bezeichnen, sondern als kritisch. Unsere großen Auseinandersetzungen in der Spontiszene hatten wir ja mit den DKPlern, den traditionellen Kommunisten, die uns ja am liebsten gefressen hätten.
Reichert: Was wählen Schwule eigentlich?
Links sind sie nicht. Sie suchen sich die Parteien, die sich ihnen gegenüber offen darstellen. Ob sie es auch sind, ist eine andere Frage. Die meisten Schwulen wählen SPD und Grüne. Das hängt natürlich auch mit den sozialen Biografien zusammen. In der Regel kommen sie ja aus kleinbürgerlichen Milieus. Sie sind ja immer in der Mitte hängen geblieben, haben es nie nach oben geschafft. Sie werden auch niemals taz-Chefredakteur.
Wrusch: „Die Schwulen“ gibt es doch gar nicht. Ich begreife meine sexuelle Orientierung nicht als identitätsstiftend. Ich fühle mich auch nicht diskriminiert.
Also für mich stimmt das nicht. Wenn Sie denken, es stimmt für Sie, dann müssen Sie das so sagen. Ich sehe nur, dass Sie nach wie vor marginalisiert werden. Wenn Sie das nicht aufregt, dann ist das so. Ich werde Ihrer Generation nicht in den Arsch treten und sagen, regt euch endlich mal auf. Ich habe das immer wieder getan und es ärgert mich immer noch, dass sich viele Schwule, die in Chefetagen angekommen sind, nicht outen.
Wrusch: Wären Sie heute gerne jung und schwul?
Letztlich fragen Sie damit, ob mein Engagement erfolgreich war. Natürlich war es das. Zum 25-jährigen Jubiläum der Aids-Hilfe sagte Angela Merkel zu mir: Toll, dass Sie das gemacht haben. Damals hätte ich das toll gefunden, wenn ein Bundeskanzler gesagt hätte: Jungs, toll.
Reichert: Und das, obwohl Sie einen Großteil Ihres Umsatzes mit Pornografie gemacht haben …
Wir haben erst 2000 mit Pornos angefangen. Pornos sind für mich als schwuler Mann von Bedeutung. Ich werde von anderen über meine Sexualität definiert und finde es wichtig, sie weiter zu entwickeln und zu definieren – auch mit Hilfe von Pornos. Wer, wenn nicht wir, soll denn die Fantasien, die wir haben, bunt ausmalen?
■ Der Verlag: Der Bruno Gmünder Verlag aus Berlin produziert Medien für schwule Männer und zählt zu den weltweiten Marktführern in diesem Bereich. Das Gesamtprogramm umfasst neben schwuler Belletristik und Sachbüchern die Schwerpunkte Reiseführer, Fotobände, Ratgeber, Comics, Kunstbände und verschiedene Monatsmagazine (u. a. Männer, Spartacus Traveler). Einen großen Erfolg hatte das Unternehmen mit dem „Spartacus International Gay Guide“.
■ Das Unternehmen: Die Mediengruppe hat einen Mitarbeiterstand von ca. 100 Männern. Der Markt in Deutschland macht etwa 25 Prozent des Umsatzes aus, der größte ausländische Markt sind die Vereinigten Staaten. Mit dem Verlag verbunden ist die schwule Einzelhandelsgruppe Bruno’s.
■ Der Verkauf: Der Verlag wechselt nach 30 Jahren die Besitzer: Am 3. Juni wurden in Berlin die Verkaufsverträge unterschrieben: Die Unternehmer Tino Henn und Nik Reis (beide München) und der bisherige Mitgeschäftsführer Michael Taubenheim (Berlin) haben die Mehrheit an der Bruno Gmünder Mediengruppe übernommen. Bruno Gmünder bleibt den Unternehmen als Minderheitsgesellschafter und Berater erhalten. In Zukunft soll die Verbindung des Verlagsgeschäfts mit dem Internet stärker im Vordergrund stehen.
Wrusch: Haben Pornos heute noch eine gesellschaftliche, politische Funktion?
Du siehst im Porno etwas, und du merkst, es bewegt dich oder es bewegt dich nicht. Und wenn es dich nicht bewegt, ist es kein guter Porno. Ein Jugendlicher entdeckt seinen eigenen Sexappeal, masturbiert. Ein Sich-selbst-Finden durch Bilder – das ist besser als eine Coming-out-Broschüre. Das Schwierige am Pornogucken ist, dass viele sich dazu nicht bekennen können. Auch in der Schwulenszene stehen viele auf Hetero-Pornos, das darf man aber nicht sagen, weil das politisch nicht korrekt ist.
Reichert: Pornos sind sowieso nicht politisch korrekt. Es heißt, sie verderben die Jugend …
… die macht ja die Pornos selbst.
Reichert: Stimmt. Und dann stellen sie alles ins Netz.
Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen, Porno, Freiheit für alle, und in jedem Kindergarten muss ein Homo-Porno laufen, damit die sehen, was es alles so gibt. Limitierung kann da schon sinnvoll sein. Aber die Limitierung, die uns selbsternannte Pädagogen auferlegen, finde ich viel zu eng.
Wrusch: Sie haben jetzt 30 Jahre den Bruno Gmünder Verlag geführt, einen der weltweit größten Homo-Verlage. Man findet über Sie aber fast nichts in den Mainstreammedien. Warum nicht?
Die Abgrenzung in Deutschland ist tatsächlich groß. Wir im schwulen Ghetto können machen, was wir wollen, werden aber auch weitgehend ignoriert. Das liegt sicher auch daran, dass der Kern unserer Anliegen Dinge sind, für die sich die Mehrheit nicht interessiert. Die interessieren sich für Mieten, für Bäuche, für Hypotheken und ihre heterosexuellen Karrieren. Die deutsche Gesellschaft ist in ihrem Mainstream unheimlich dröge, langweilig und desinteressiert.
Reichert: Liegt das jetzt wirklich an Deutschland?
In Frankreich sind schwule Themen auch im intellektuellen Mainstream verankert. Hier ist das anders – und für mich als Verleger in einer merkantilen Form sehr gut, weil uns die guten schwulen Autoren zugeflossen sind; in den USA sind die alle bei den großen Verlagen. Deutsche Verlage interessieren sich nicht für schwule Themen. Es gibt hier auch keine Leser dafür jenseits der Homo-Community.
Wrusch: Die Gesellschaft ist doch längst viel weiter.
Erinnern Sie sich an den Fall Nadja Benaissa? Das war schrecklich und frustrierend. Das zeigt die Ignoranz von uns Deutschen. Wir fühlen uns nicht wirklich betroffen. Das Schockierende war, wie gering der Wissensstand auch des Medienmainstreams ist. Das zeigt, man kann keinem Positiven raten, sich zu outen.
Reichert: Nadja Benaissa wurde verurteilt, weil sie als Positive ungeschützten Sex hatte.
Man dachte in der Community, dass das Problem und die Panik vor Positiven beendet ist. Man ist ja nicht krank, nur positiv. Dieser Fall hat klargestellt, so einfach ist das nicht. Die Leute sehen sie als krank, als Infektionsschleuder und reagieren panisch.
Reichert: Sie haben durch Aids Ihren Lebensgefährten Christian von Maltzahn verloren.
Wir waren seit 1978 zusammen, da gab es noch kein Aids. Unsere Tripper und Syphilis haben wir wie Medaillen aus Schlachten der letzten Nacht rumgetragen. 1982 kam dann Aids und alles stand auf dem Kopf.
Wrusch: Wie war es vorher?
Wir hatten Sex zur Begrüßung, zum Abschied und dazwischen auch. Es gab keine Bedrohung. Alles war locker und easy, wir haben so gelebt, wie man es uns vorgeworfen hat. Total hedonistisch. Drogen, Sex – die Lederszene war damals vorherrschend. Dann kam Aids, und das hat einen Großteil dieser Lederszene tödlich getroffen. Die meisten leben gar nicht mehr.
Reichert: Und wie war das mit Ihrem Lebensgefährten?
Mein Mann ist 1997 gestorben, ebenso wie viele Freunde und Bekannte. Das war schon sehr, sehr schmerzlich, ich wäre am liebsten mit ins Grab gegangen. Da war eigentlich die ganze Reise zu Ende. 1997, das war zynisch, hässlich und brutal, weil da auch die Dreierkombination auf den Markt kam, da hörte das Sterben auf im Großen und Ganzen. Und ausgerechnet 1997 ist mein Mann als einer der Letzten noch gestorben. Da kommt man sich wie eine Kriegerwitwe vor, die kurz vorm letzten Schuss noch ihren Mann verloren hat. Das war alles ganz schrecklich, das begleitet mich bis heute, das kann man nicht aufarbeiten, da gibt es auch keine Therapie. Das ist wie ein Tattoo, eine Verletzung.
Reichert: Sie haben gerade Ihren Verlag verkauft. Tut das nicht auch weh?
Jetzt bin ich 55. Die meisten Männer, die aktiv in der Szene sind, sind vielleicht zwischen 20 und 40, der Rest hat sich oft zurückgezogen. Ich bin eigentlich zu alt, um zu verstehen, was unsere Kunden heute wollen. Ich bin da rausgewachsen.
Wrusch: Klingt abgeklärt.
Ja, aber können Sie sich Che Guevara als 65-Jährigen vorstellen? Und ist Castro nicht irgendwie schrecklich, wie der als alter, seniler Mann noch immer das Gute in Kuba verkünden will?
Wrusch: Sie haben aber gerade viel Geld gespendet für die Organisation der Proteste anlässlich des nahenden Papstbesuchs in Berlin.
Ja, mit mir kann man weiter rechnen. Das Papstbegrüßungskomitee ist eins von vielen Dingen. Ich wüsste nicht, warum ich stillhalten sollte.
Reichert: Sie wollten sich doch zurückziehen …
Ich habe ja irgendwie die Verpflichtung, wie die Eltern auch, etwas ruhiger zu sein, damit die Kinder rumtoben können. Das ist eine sehr harte Erfahrung, die alle Achtundsechziger lernen mussten. Man sollte auch mal stiller sein.
Wrusch: Also machen Sie nicht die Alice Schwarzer?
Die kann den Schnabel nicht halten. Die müsste auch mal den jüngeren Mädels den Vortritt lassen. Ich halte es nicht für sinnvoll, Jüngere zu belehren. Jeder muss seine eigenen Antworten finden.
■ Martin Reichert, 38, ist sonntaz-Redakteur. Coming-out: 1996
■ Paul Wrusch, 26, ist taz-Redakteur. Coming-out: 2009