: „Shakespeare ist ein Gottesgeschenk“
Joachim Lux, derzeit Chefdramaturg des Wiener Burgtheaters, wird ab der Spielzeit 2009/ 2010 am Thalia Ulrich Khuon ablösen. Ein perfektes Rezept für das Hamburger Publikum hat er noch nicht. Aber er möchte den Spagat zwischen Verwurzelung und Internationalisierung wagen
JOACHIM LUX ist seit 2006 leitender Dramaturg des Wiener Burgtheaters. Zuvor war der 49-Jährige in gleicher Funktion am Bremer Theater, am Düsseldorfer Schauspielhaus und am Kölner Schauspielhaus tätig.
INTERVIEW: PETRA SCHELLEN
taz: Hamburgs Kultursenatorin hat Sie als mutig bezeichnet. Inwieweit ist Ihr derzeitiges und künftiges Programm mutig?
Joachim Lux: Über das künftige Programm zwei Jahre im Voraus viel zu sagen, wäre extrem unprofessionell. Was die Vergangenheit betrifft, so habe ich bislang immer den Spagat zwischen Extremen gesucht. Ich habe zum Beispiel einerseits mit Schlingensief gearbeitet und andererseits mit Andrea Breth. Also einerseits mit einer Regisseurin, die über das Sich-Versenken in die Texte zu ästhetisch geschlossenen, hochkomplexen Abenden kommt. Und auf der anderen Seite ein Schlingensief, der nicht die Institution Theater, wohl aber dessen tradierte Erzählformen in Frage stellt.
Wie kann sich ein solcher Spagat in einer Stadt wie Hamburg gestalten?
Eine andere Stadt bedeutet natürlich ein anderes Publikum. In Wien zum Beispiel hat Kultur bei den Bürgern einen gigantischen Stellenwert. Hier bestimmte Extreme auszureizen, ist gar nicht so kompliziert, weil die Liebe zum Theater grundsätzlich da ist. In diesem Punkt kann ich die Hamburger Situation noch nicht genügend einschätzen.
In Hamburg legt man viel Wert auf die Mehrung des jugendlichen Publikums. Sie auch?
Eins der Hauptziele muss sein, junge Menschen ins Theater hinein zu verführen. Dafür würde ich viele Anstrengungen unternehmen.
Geht das so weit, dass Sie ein Jugendtheater etablieren würden, wie es das benachbarte Schauspielhaus schon hat?
Ich glaube, dass die Tatsache, dass das Schauspielhaus solch eine Sparte hat, nicht unbedingt nahe legt, das nachzuahmen. Man muss die Jugendlichen durch interessante inhaltliche und phantasievolle merkantile Angebote zu binden versuchen.
Könnte es insofern ein Problem sein, das Thalia zu bespielen, als dass es sehr extreme Publiken bedient: das konservative und das ganz junge?
Die Antwort ist das vielgescholtene, aber letztlich doch geliebte moderne Regietheater. Denn wenn die Theaterleute eine so genannte werktreue Aufführung präsentieren, kommt meist Langeweile auf. Der Wunsch nach dem Stück, „wie der Dichter es gemeint hat“, ist eine abstrakte Sehnsucht, die nicht genau weiß, was sie eigentlich meint. Ich glaube vielmehr, dass man im Theater etwas erleben möchte. Das betrifft junge Leute, die oft gar nicht so modern sind, wie man glaubt. Und es betrifft Ältere, die oft innerlich jünger sind, als man denkt.
Gibt es Themen, die Sie künftig stärker bedienen möchten?
Auch da würde ich Extreme bemühen: Das Eine wäre die Beschäftigung mit der regionalen Biographie, sprich: mit der kulturellen Geschichte Hamburgs. Auf der anderen Seite geht es um die fortschreitende Internationalisierung unserer Verhältnisse. Ich glaube, dass die Erweiterung in das Internationale hinein nicht nur am Thalia, sondern allgemein immer mehr zum Thema werden wird.
Geht es Ihnen auch um Politik? Sehen Sie sich als Globalisierungskritiker? Oder wollen Sie das Multikulturelle bloß benennen?
Natürlich kann ich mir ein Projekt zum Thema Globalisierung sehr gut vorstellen. Aber diese Problematik ist viel zu komplex, um zu sagen, ich bin gegen oder für das Multikulturelle. Ich glaube auch gar nicht, dass das der Job des Theaters ist. Das Theater muss eine Kommunikationsleistung erbringen und nicht vornehmlich Flugblätter verteilen.
Können Sie sich vorstellen, etwa prekäre Verhältnisse zu thematisieren?
Auf dem Theater werden nicht zwangsläufig Themen aufgegriffen, die gerade in der Tageszeitung stehen. Sondern da sind spannende Texte, für die man das Publikum begeistern will. Das kann natürlich auch mal ein Text sein, in dem das Prekariat Thema ist. Aber grundsätzlich mag ich diese Selbstverlabelung der Theater mit Spielplan-Motti nicht. Die haben mit der Theaterwirklichkeit letztlich nichts zu tun, weil sie entweder so allgemein sind, dass sie gar nichts sagen – oder so engführend, dass man denkt, man sei in der Volkshochschule.
Wird es also keine Reihen geben?
Thematisch im journalistischen Sinne gehe ich nicht vor. Das Theater sucht sich seine Themen aus künstlerischen Erwägungen heraus. Daraus können dann schließlich auch Reihen oder Zyklen entstehen.
Wiener Erfahrungen?
Machen wir gerade, und da erleben wir sehr erotisierende Momente. Wir spielen am Burgtheater in dieser und der kommenden Spielzeit ausschließlich Shakespeare und erweitern das gleichzeitig um andere große Renaissance-Stoffe wie Wallenstein und Faust. Sechs Shakespeare-Stücke in einer Saison, das ist unglaublich! Daneben spielen wir ausschließlich Gegenwartsstücke. Dadurch entsteht ein echter Rausch: einerseits bei uns Theaterleuten. Denn die intensive Beschäftigung mit einem Autor, über den man nicht nur drüber hoppelt, ist ein Gottesgeschenk. Andererseits bei den Zuschauern: Auch die werden süchtig, was sich in Platzausnutzungen von 98 Prozent ausdrückt. Ich schätze also durchaus thematische Setzungen, die ein bisschen komplizierter funktionieren. Wir sagen nicht: Es gibt eine steigende Zahl an Ehescheidungen, also spielen wir jetzt lauter Ibsens. Sondern wir gehen zurück und sagen: Der Spiegel für unsere Welt liegt in der Fremdheit der Renaissance, die die Wiege unserer Kultur ist: Wie verhält es sich da mit der Hybris des Menschen und seiner Selbsterkenntnis?
Reden wir über Geld. Ihr Etat in Hamburg wird schmaler sein als der Wiener.
Das können Sie laut sagen.
Wie weit sind Sie angesichts dessen zur Selbstausbeutung bereit?
Theater ist sowieso eine permanente Selbstausbeutung, weil das Verhältnis der Arbeitszeit zum Geld, das dort verdient wird, ein begrenztes ist. Was Hamburg betrifft, laufen die Verhandlungen ja noch. Wichtig ist für die Hamburger Bürgerschaft vor allem: Dieses Theater funktioniert derzeit top. Die Besucherzahlen sind nicht steigerungsfähig. Die Einnahmen aus Gastspielen und die Zahl der Fernsehaufnahmen können nicht erhöht werden. Die Summe der Produktionen auch nicht, denn da wird schon bis zum Anschlag gearbeitet. Da ist also keine Luft für mich nach oben, so dass ich nach drei Jahren sagen könnte: Gegenüber der Ära Khuon habe ich diese oder jene Steigerung erreicht. Deshalb möchte ich kurz- oder langfristig schon eine Anhebung der Zuschüsse erzielen. Das könnte aber auch ein Appell an die Bürgerschaft oder an Stiftungen sein, spezifische Einzelprojekte gesondert zu unterstützen.
Werden Sie das Projekt der Autorentheatertage weiterführen?
Es wird auf jeden Fall ein ähnliches Festival geben. Details werde ich mit Herrn Khuon besprechen. Das Festival, das für die Außenwirkung der Stadt Hamburg von nicht unerheblicher Bedeutung ist, wird übrigens bisher aus Drittmitteln finanziert, die das Theater aufgetrieben hat. Außerdem möchte ich die Kooperation mit der Hamburger Theaterakademie intensivieren und die Kulturlandschaft Thalia in der Gaußstraße gemeinsam weiterentwickeln. Da gibt es, glaube ich, noch viel Potential.
Noch ein Wort zur innerstädtischen Konkurrenz: Werden Sie sich gegenüber dem Schauspielhaus schärfer profilieren? Oder werden die beiden Häuser weiterhin nebeneinander her dümpeln?
Da muss man mal in Ruhe abwarten, welche Entwicklung das Schauspielhaus überhaupt nimmt, was die Bindung von Regisseuren oder Programme betrifft. Das ist mir noch nicht so ganz klar. Aber die Koexistenz dieser beiden Häuser war noch nie ein Problem.