: Oralsex im Polizeiauto
Im ungarischen Polizeidienst häufen sich die Skandale. Regierungschef Gyurcsány entlässt Justizminister
WIEN taz ■ Eine Vergewaltigung im Streifenwagen, die vier Polizisten vorgeworfen wird, hat eine Säuberungswelle im ungarischen Sicherheitsapparat ausgelöst. Prominentestes Opfer ist Justizminister Jószef Petrétei, der am vergangenen Wochenende von Premier Gyurcsány gefeuert wurde. Zudem mussten auch der Kommandant der Budapester Polizei, der Chef der Landespolizei und fast die gesamte Kommandoebene der Exekutive den Hut nehmen. Denn eine ganze Serie von Skandalen im Polizeidienst ließ sich nicht länger vertuschen.
Übertriebene Brutalität gegenüber Demonstranten hatte die ungarische Polizei in den vergangenen Monaten wiederholt ins Gerede gebracht. Verglichen mit anderen Verfehlungen und Verbrechen, die in den letzten Wochen bekannt wurden, erscheinen diese Übergriffe gegen rechte Randalierer harmlos. Besondere Empörung löste der Fall einer Frau aus, die bei einer Alkoholkontrolle in der Budapester Innenstadt in eine Nebenstraße gebracht und im Polizeiauto zum Oralsex gezwungen worden sein soll. In der Polizeikommandantur versuchte man die Schuld bei angeblich „falschen Polizisten“ zu suchen, ehe sich die Stichhaltigkeit der Vorwürfe herausstellte.
Auch sonst haben die Ungarn Grund, sich vor ihrer Polizei zu fürchten. In Budapest verhinderten Polizisten einen Bankraub durch Erschießen des Täters. Dann griff bei den Sicherungsarbeiten ein uniformierter Kollege in die Kasse und steckte umgerechnet 2.000 Euro ein, was die Videokamera dokumentierte.
Gute Geschäfte machten auch Verkehrspolizisten in der Stadt Miskolc, die Provision kassierten, indem sie bei jedem Unfall ein bestimmtes Abschleppunternehmen herbeiriefen. Im Korruptionssumpf stecken auch Mitarbeiter des Geheimdienstes, die hinter der Fassade einer gemeinnützigen Stiftung zollfreie Lebensmittel importierten und an den Großhandel verkauften.
Im nationalen Sicherheitsdienst soll der Direktor für operative Einsätze vorzeitig in Rente geschickt werden. Er soll seine Spitzel auf Journalisten der Tageszeitung Magyar Nemzet angesetzt haben. Diese hatten sich erdreistet, die Umstände des Baus eines Wochenendhauses von Kanzleramtsminister György Szilvásy zu recherchieren. Szilvásy ist für die Sicherheitsdienste zuständig.
Für den Kriminalexperten Géza Finszter, den die ungarische Presse zitiert, sind die Missstände damit zu erklären, dass Polizei und Geheimdienst die Strukturen der Diktatur beibehalten hätten. Die Geheimpolizei kontrolliere die Gesellschaft, ohne selbst einer Kontrolle zu unterliegen. Die Polizisten verwechselten Strenge mit Brutalität. Die Rechtsextremisten, die im September 2006 das Rundfunkgebäude verwüsteten, ließ die Polizei aber gewähren. Ein Relikt aus alter Zeit ist auch der abgesetzte Justizminister Petrétei, dem Historiker nachwiesen, er habe vor 1989 an der Universität seine Kollegen bespitzelt.
RALF LEONHARD