Das Brot wohnt im Toaster

Über Räume nachzudenken, wollen Carson Chan und Fotini Lazaridou-Hatzigoga nicht allein der Architektur überlassen. Ihr Projekt heißt „Program“ und verbindet Atelierresidenzen mit Ausstellungen und vermietbaren Arbeitsplätzen

VON KITO NEDO

Wer die kanadische Künstlerin Valérie Kolakis in ihrem Residenz-Atelier von Program besucht, den bittet sie höflich, es sofort wieder zu verlassen. Und zwar durch das Fenster zum Hof. Keine Angst, das Atelier befindet sich im Erdgeschoss und man darf auch wieder hereinkommen. Nur durch das Fenster eben – und dabei wird man von der Künstlerin mit einer Digitalkamera gefilmt.

Schon gut zwei Dutzend solcher Einstiege hat sie bislang dokumentiert, insgesamt vierzig solcher Besuchsbilder braucht sie. Fein säuberlich sind die bisherigen Ergebnisse an der Atelierwand aufgereiht: Wieder und wieder nähern sich schwarze Silhouetten dem Fensterrahmen, erklimmen ihn und verschwinden seitlich.

Kolakis’ Liebe zum Seriellen steckt auch in den Plastiken, die sie durch professionelle Steinmetze aus weißem Marmor anfertigen lässt. Als Vorlagen dienen ihr Styropor-Verpackungen, die für gewöhnlich Elektrogeräte beim Transport schützen. Das sei beispielsweise von einer Toasterverpackung inspiriert, erklärt sie und deutet dabei auf eine kleine Skulptur, die sich fast nur durch ihr Gewicht vom Original unterscheidet. Auf die Frage, ob sie die Objekte nicht manchmal verändern möchte, zuckt sie mit den Schultern: „Wieso? Die sind doch perfekt!“

Seit Januar nutzt Kolakis die Künstler-Residenz bei Program. Eingeladen wurde sie von Carson Chan und Fotini Lazaridou-Hatzigoga, die die junge „Initiative für Kunst und architektonische Zusammenarbeit“ in der Invalidenstraße gegründet haben. „Valéries Arbeiten haben mit Maßstab, Materialität und den Spuren menschlicher Aktivität zu tun – alles Dinge, die uns auch in der Architekturtheorie interessieren“, begründet Lazaridou-Hatzigoga die Einladung. „Außerdem mochten wir die Empfindsamkeit ihrer Werke und die ungewöhnliche Balance zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem.“ In etwas über einem Monat, Anfang Mai, wird Kolakis ihre erste Berliner Einzelausstellung im schönen Ausstellungsraum von Program einrichten.

Die Atelierresidenz ist eines der Merkmale, die das Program-Konzept von anderen Galerien unterscheidet. Finanziert wird sie hauptsächlich durch ein Gemeinschaftsbüro mit etwa sechzehn Arbeitsplätzen und zwei weiteren Büro-Ateliers. Dort können sich Grafiker, Journalisten, Architekten, Künstler und Gestalter einmieten und so für den Fortbestand dieses Modells sorgen.

Kennengelernt haben sich der Kanadier Chan und die Griechin Lazaridou-Hatzigoga vor drei Jahren an der Harvard-Universität in Boston, in einem Master-Studiengang für Design- und Architekturtheorie. Dass die Endzwanziger jetzt im Leseraum ihrer Berliner Initiative sitzen und ihre Ideen erläutern, scheint ihnen selbst nicht ganz geheuer. Chan jedenfalls kam nach dem Studium direkt nach Berlin und entdeckte bald, „dass es nicht so befriedigend ist, gleich nach der Uni in einem Büro zu arbeiten“. Um herauszufinden, ob man Architektur auch anders als durch Pläne, Modelle und Fotografien ausstellen könnte, gründeten die beiden ihr eigenes Projekt, um, wie Lazaridou-Hatzigoga sagt, „die Ideen mal auszupacken, mit denen man an der Universität konfrontiert war“. Hier soll Architektur vor allem als soziale Konstruktion begriffen werden: „Wenn man ein Haus baut, entsteht Bedeutung.“

In der Eröffnungsausstellung „aparatus“ im letzten November hing hier unter anderem eine Lichtskulptur von Jeppe Hein, die erlosch, sobald ein Sensor eine Bewegung im Raum registrierte. Im Januar installierte der kanadische Künstler Rodney LaTourelle eine glamouröse, bonbonfarbene Raum-im-Raum-Installation, deren Winkelungen und Trick-Architektur beim Besucher eine fast kindliche Freude am Verstecken und Entdecken provozierte. So bezeugen die Ausstellungen das Interesse der Initiatoren an sinnlich erfahrbaren Räumen. Das prägt auch die aktuelle Gruppenschau neun junger Künstler, die in einem Workshop entstanden ist. Eine Horizontlinie, die Chan und Lazaridou-Hatzigoga über die Wände gezogen hatten, verbindet Wandmalereien und Skulpturen und gibt dem Raum eine eigene Logik.

PROGRAM, Invalidenstraße 115, Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–19 Uhr. Die Gruppenausstellung „Streams, torrents, lakes etc.“ geht noch bis 24. März