: Es ist noch lange nicht vorbei
THESE Die internationale Gemeinschaft hat mit einer angemessenen Reaktion auf die Ebola-Epidemie zu lange gezögert. Das hat Menschenleben gekostet und die Ausbreitung des Virus ermöglicht
VON FLORIAN WESTPHAL
Während Sie diesen Text lesen, kämpfen Tausende von Menschen um ihr Leben. Die internationalen Bemühungen zur Eindämmung der Ebola-Epidemie in Liberia, Sierra Leone und Guinea fallen nach wie vor weit hinter das zurück, was nötig wäre. Wir haben viele Ankündigungen gehört, die in die richtige Richtung gehen, und es hat einige positive erste Schritte gegeben. Aber wir reden noch immer über die Finanzierung der Hilfe, über die Entsendung von Helfern und ihre Anwerbung und Ausbildung. Dabei müssten sie eigentlich längst vor Ort sein. Nicht einmal die Behandlung bereits erkrankter Ebola-Patienten ist gewährleistet: Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass kaum ein Viertel des Bedarfs an Isolierbetten gedeckt ist.
Dies ist die größte Ebola-Epidemie der Geschichte. Es gibt für den Umgang damit kein Vorbild, wir bewegen uns auf unbekanntem Terrain. Die Epidemie entwickelt sich unvorhersehbar, und sie erfordert eine robuste und zugleich flexible Antwort. Manchmal scheint die Ausbreitung in einer Gegend zum Stillstand gekommen zu sein, nur um später um so heftiger zu explodieren. Sicher ist nur eines: Es ist noch lange nicht vorbei, und mehr Hilfe wird dringend benötigt.
Es gibt zu wenig „boots on the ground“. Nötig ist internationales Personal, das mit lokalen Mitarbeitern im Rahmen einer verlässlichen Infrastruktur in gut organisierten Behandlungszentren arbeitet. Länder wie die USA, Großbritannien, Frankreich, China und Kuba haben begonnen, Fachkräfte zu schicken, aber es geht nicht nur um medizinisches Personal. Gebraucht werden Logistiker, Sanitäter, Entsorgungsfachkräfte, gut ausgebildet, gut vorbereitet und gut ausgestattet. Es reicht nicht, Behandlungszentren zu bauen – sie müssen auch funktionieren. Und wir brauchen mehr Krankenwagen: Damit eine kranke Person nicht ihr Umfeld ansteckt, ist der rasche und sichere Transport in ein Ebola-Behandlungszentrum nötig.
Immer noch behandelt Ärzte ohne Grenzen 60 Prozent aller identifizierten Ebola-Patienten in Westafrika. Wir haben 5.000 Patienten aufgenommen, davon sind 1.650 gestorben – und mehr als 1.000 haben überlebt. Wir müssen gleichzeitig Patienten behandeln, die Ausbreitung des Virus stoppen, Logistik und Labore aufbauen. Unsere Frustration ist enorm, dass sich niemand zuständig gefühlt oder dazu in der Lage gesehen hat, eine umfassende internationale Reaktion auf die Beine zu stellen. Nichtregierungsorganisationen sollten damit nicht allein gelassen werden.
Wir sehen immer noch große Lücken in allen Bereichen. Es gibt zu wenig Pflegekapazitäten, zu wenig Ausbildung und Unterstützung des lokalen Gesundheitspersonals. Die nötigen epidemiologischen Kontrollmaßnahmen sind nicht gewährleistet. In Guinea arbeitet jedes unserer Behandlungszentren am Rande der Kapazität. In Sierra Leone werden zu viele Patienten ungetestet nach Hause geschickt oder sterben auf dem Weg in ein fernes Behandlungszentrum. In Liberia gibt es wenig Verständnis dafür, was in den Behandlungszentren geschieht, es gibt Ängste und Gerüchte, und viele Menschen wollen nicht, dass ihre Verstorbenen eingeäschert werden.
Die Krise in Liberia, Sierra Leone und Guinea geht inzwischen weit über Ebola hinaus. Wir müssen uns jetzt verstärkt auch dem Kampf gegen Malaria widmen, weil die nationalen Gesundheitssysteme nicht mehr normal funktionieren. Je länger diese Krise andauert, desto deutlicher wird der dringende Bedarf an grundlegenden Reformen im internationalen öffentlichen Gesundheitswesen.
Aber diese Diskussion kann jetzt nicht vertieft werden. Erst muss dieser Ebola-Ausbruch unter Kontrolle gebracht werden, dann können wir evaluieren und Reformprozesse konzipieren. Wir müssen die weitere Ausbreitung von Ebola stoppen, aber in diesem Augenblick ist die Priorität, die Epidemie dort zu bekämpfen, wo sie bereits wütet. Ein umfassendes internationales Programm würde folgende Punkte umfassen: ausreichende Behandlungszentren, umfassende Sensibilisierung der Bevölkerung, die nötige Infrastruktur, ausreichende Diagnosekapazitäten, funktionierende Gesundheitssysteme und ein internationaler Koordinierungsmechanismus.
Die internationale Gemeinschaft hat zu lange gezögert, die Warnsignale ernst zu nehmen und angemessen zu reagieren. Dies hat tausende Menschenleben gekostet, die weitere Ausbreitung des Virus zugelassen und die Bekämpfung der Seuche erschwert. Um es mit Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf zu sagen: Die Zeit zum Reden und Theoretisieren ist vorbei.
■ Florian Westphal ist Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen