DVDESK
: Er frisst Borken und Beeren, aber wer ist er?

„Essential Kil-ling“ (Regie: Jerzy Skolimowski; Polen, Norwegen, Irland, Ungarn 2010). Die DVD gibt es ab rund 15 Euro im Handel

Den talibanartigen Mann gibt der exzentrische amerikanische Schauspieler Vincent Gallo

Drei Männer mit Minensuchgeräten in eindrucksvoll geschichteter Landschaft aus Stein, Sand und Schlucht. Ein Helikopter schwebt darüber und macht dumpf klopfende Helikoptergeräusche. In einer finsteren Höhle in einer der Schluchten feuert ein Mann mit einer Panzerfaust nach draußen ins Helle. Die drei suchenden, verfolgenden Männer gehen in Fetzen. Wir sehen das aus der Perspektive des Mannes in seiner Höhle. Aber auch aus der Höhe haben wir schon auf die Landschaft, die Männer und sogar von noch weiter oben auf den Helikopter geblickt. Der Film legt sich nicht fest: Er wählt abwechselnd die Seite des Verfolgten, der Verfolger und sogar der Verfolgung. „Essential Killing“ verspricht er im Titel. Was soll das eigentlich heißen?

Der Mann mit einer Art Talibanbart flieht, der Mann wird vom amerikanischen Militär gefasst, geschoren, unsanft behandelt, verhört, verfrachtet, ausgeflogen. Aus dem Land der hellen, heißen, steinigen Flächen und Schluchten in ein Land aus Eis, Kälte und Schnee. Im Flugzeug sieht man einen Soldaten beim Pinkeln. Bei einer Überführung per Auto gelingt dem Mann, der jetzt wieder bärtig ist, nach einem von Wildschweinen auf der Fahrbahn verursachten Unfall die Flucht. Wieder tötet der Mann Amerikaner. Er spricht den ganzen Film über kein einziges verständliches Wort. Einmal ein Schmerzenslaut, als er in eine Tierfalle gerät. Man sieht einen Elch. Rückblenden gibt es, ausgebleicht, sie deuten auf einen muslimischer Hintergrund. Später gibt es auch Vorausblenden. Die einen wie die anderen erklären eigentlich nichts. Der Mann ist ein talibanartiger fliehender Mann. Es spielt ihn der exzentrische amerikanische Schauspieler Vincent Gallo.

Der Mann flieht weiter, wird von Menschen und Hunden gehetzt wie das Tier, in das er sich zusehends selbst transformiert. Er verkriecht sich in eine Futterkrippe zum Schlafen und blickt am Morgen auf die Schnauzen von Rehen. Hier und immer mal wieder schmiegen wir uns in Handkamerabildern seinem Blick an. In einigen Totalen vereinzelt die Kamera ihn zum einsam im jungfräulichen Schnee Stapfenden. Dies Auge für Naturschönheit hat er selbst sicher nicht. Er ist hungrig, er stiehlt einen Fisch, er saugt an der Brust einer vom Fahrrad gefallenen Frau. Er frisst Borken und Beeren. Von den Beeren bekommt er eine Vision. In einem tollen Bild treibt blauer Stoff im Wasser heran, dann steht eine Frau in ebenso blauer Burka zwischen den Zweigen. In der Fortsetzung der Vision wird der Mann von einem Rudel Hunde bedrängt.

Auch rückt er einem Waldarbeiter mit der Kettensäge zu Leibe. Was keine Vision ist, möglicherweise, auf kategoriale Unterscheidungen zwischen real sich Ereignendem und Herbeihalluziniertem legt man sich als Beobachter des Geschehens aber besser nicht fest.

Später kommt der Mann im Dunkeln zu einem Haus. Darin eine Frau, sie ist taub und/oder stumm und spricht jedenfalls auch kein einziges Wort. Sie pflegt ihn. Am Morgen reitet der Mann dann wie im Western davon, die Geschichte löst sich auf in einer Farbdifferenz: Beere und Schnee, Schimmel und Blut, Weiß und Rot. Das ist alles sehr gut und sehr schön, jedoch bleiben Fragen: Was will uns der Koautor und Regisseur Jerzy Skolimowksi mit alledem sagen? Was haben Allah und der Bart des Propheten mit der Sache zu tun? Woher kommt der Mann? Wer ist er? Wohin geht er? Und in welche Schublade tun wir den Film: Politische Allegorie? Spirituelle Vision? Abenteuergeschichte à la Jack London? Bizarr komische Nummernrevue? Passt das zusammen, widerspricht sich das nicht, führt es irgendwohin? Sachdienliche Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen nehmen wir jederzeit gern entgegen.

EKKEHARD KNÖRER