Lagerist mit Kamera

AUSSTELLUNG Die Galerie cubus-m zeigt Fotografien von Karlheinz Weinberger. Sein Motiv: Stile und Moden der rebellischen Jugend

VON BRIGITTE WERNEBURG

Zwei bis drei Dutzend Rocker auf ihren Motorrädern füllen das Querformat über seine ganze Breite. Die Typen stammen nicht nur aus einer fernen, fremden Zeit, den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, sie befinden sich dazu an einem äußerst befremdlichen Ort. Wer hätte sich je vorgestellt, diese dunkle Bruderschaft inmitten saftiger Wiesen samt sanftäugigen Kühen und blau-weißem Alpenpanorama anzutreffen?

Leider sind die beiden Farbabzüge, die mich bei Anna Kustera in New York faszinierten, in Berlin nicht zu sehen. Und leider sind sie auch nicht in der Rizzoli Publikation „Rebel Youth“ zu finden. Das ist schade, denn sie toppen jederzeit die wirklich erstaunlichen Fotografien jugendlicher Dissidenz, die Karlheinz Weinberger (1921-2006) vor rund fünfzig Jahren in der Schweiz aufgenommen hat.

Wie etwa die Teddy Girls mit ihren sogenannten Bienenkorbfrisuren. Es ist nicht nur bemerkenswert, sondern schlicht unglaublich, zu welchen enormen Dimensionen gespraytes Haar emporwachsen kann! Man muss es sehen. In gewisser Weise erinnert es an die damals neue Technik des Spannbetonbaus. „Sprayen Sie Ihr Haar, damit es sich anständig benimmt“, hieß es in der Werbung. Aber in der Galerie cubus-m, in der Pohlstraße, ist nun zu sehen, dass man auch sprayen konnte, bis es nur noch unanständig war.

Und genau das machte den anständigen Karlheinz Weinberger an. Er soll, so wird es reportiert, ein freundlicher Herr in Flanellhose und beigem Strickjäckchen gewesen sein, der mit seiner Mutter unter einem Dach lebte, als Lagerist arbeitete und bei den anderen Anwohnern als gesprächiger, seriöser und hilfsbereiter Nachbar in hohem Ansehen stand. Tatsächlich lebte er aber „nur für die Fotografie“, wie er selbst sagte: „Für mich war der Feierabend maßgebend, die Wochenenden und die Ferien. Wenn um 17 Uhr der Rollladen runterging, begann meine Zeit“.

Seine Motive fand er in der Arbeiterjugend, genauer bei den Halbstarken, den Teddy Boys und in der schwulen Subkultur. In diesen Kreisen stand Amerika und seine Biker-Ästhetik hoch im Kurs. Elvis, James Dean und Marlon Brando waren die Idole, denen man nacheiferte und die man im eigenen, sehr schrägen, weil sehr provinzlerischen Styling jederzeit übertraf, wie es Karlheinz Weinberger in seiner enormen Sensibilität für dessen Details dokumentierte.

Dabei zeigt sich die Klasse von Karlheinz Weinberger als Fotograf besonders darin, dass ihm trotz des bildbeherrschenden Jugendlooks, wunderbare Porträtaufnahmen seiner Protagonisten gelangen. Die Jungs sind Persönlichkeiten, obwohl der Blick unwillkürlich an dem pfundschweren Vorhängeschloss haften bleibt, das den Reißverschluss an der Jeans ersetzt oder am dem Hufeisen des Gürtels. Es wird klar: Martin Margiela hat seine überdimensionierten Gürtelschnallen diesen Jungs abgeschaut.

An Weinbergers Aufnahmen fasziniert des weiteren die seltsame Äquidistanz, in der er und seine Modelle sich bewegen: Sein Standort erscheint gleichermaßen journalistisch dokumentarisch wie intim und sexuell aufgeladen. Seine Protagonisten zeigen sich offen und unverstellt, sie lassen Nähe zu, weil sie sich sicher sind, dass der Fotograf Distanz wahrt. Offen und unverstellt konnte Karlheinz Weinberger seine fotografische Leidenschaft allerdings die längste Zeit seines Lebens nicht offenbaren. Erst zu Beginn des neuen Jahrtausends, Weinberger war schon 80 Jahre alt, wurde sein Werk allmählich bekannt. John Waters kaufte ihm noch 1999 einige Prints ab. Er steuert auch das Vorwort zu „Rebell Youth“ bei, das mit dem Satz beginnt: „ Karlheinz Weinberger was from Switzerland??! You gotta be kidding me“. Damit ist eigentlich alles gesagt.

■ Bis 23. Juli, Galerie cubus-m, Pohlstr. 75, Mi–Sa 14–19 Uhr; Karlheinz Weinberger: „Rebell Youth“. Rizzoli New York 2011, 176 Seiten, 48 Euro