Und der Beat geht weiter

Seine Lebensgeschichte ist, gelinde gesagt, bewegt, seine selbstgebauten Instrumente klingen wie Hybride aus Flugzeugen und Rasenmähern: Der Beatnik und Stahlcello-Virtuose Bob Rutman wird 76

VON GUIDO SCHIRMEYER

Schily schlägt hier schon lange nicht mehr auf, und auch Ströbele schneit nur noch selten herein: Im altehrwürdigen „Terzo Mondo“, der vielleicht letzten linken Kneipe des Berliner Westens, beim „Lindenstraßen“-Wirt Kostas Papanastasiou, feiert Bob Rutman morgen Geburtstag. Zusammen mit den letzten Berliner Beatniks.

Bob Rutman, 76 und der Grandseigneur der Berliner Undergroundkultur, wird dann seine Bush-Puppe aus dem Requisitenkoffer holen. Eine dreißig Zentimeter kleine, nackte männliche Barbie-Puppe, ein Scherzartikel aus Boston, die Plastikvisage eine Karrikatur des Gesichts von George W. Bush. Mit ihr beginnt Bob Rutman seine Performance. Immer. Er führt den Bush dicht an sein Mikrofon, drückt auf einen Knopf am Rücken, und heraus kommen mit einer abstoßenden Plastikstimme die übelsten Sätze, die der amerikanische Präsident je von sich gegeben hat.

Nach einer kleinen Ewigkeit, Wut und Ärger sind schon geschürt, setzt Bob Rutman dann zusätzlich seinen Kehlkopf ein: Er produziert böse Beschimpfungen, bittere Klagen und ein grollendes Geheul ähnlich jenem von Ginsberg und Burroughs. Vor Jahren komponierte Heiner Goebbels ein Stück extra für Rutmans Stimme. Ihn begeisterte „dieses anarchistische Unangepasstsein, das sich Rutman über seine ganze Biografie bis ins Alter erhalten hat“.

Sonor wie ein Didgeridoo röhrt Rutmans Stimmorgan und nimmt kein Blatt vor den Mund: „Räuchert sie aus! Jagt sie davon! Übergebt Bush der Justiz! Wir haben smart bombs, hat Donald Dumsfeld stolz erklärt, so smart, dass sie einem zwölfjährigen Jungen namens Ali die Arme wegbliesen, seine Mutter, drei Brüder und etliche Kusinen mordeten!“ Ein kleiner Auszug aus der Rede, mit der Rutman durch die Stadt tourt und die er mit dem Sound seiner gewaltigen Instrumente unterlegt: den Stahlcelli und Bow Chimes, die er in den Sechzigern in New York erfand und baute – sein Lebenswerk.

Zwei Quadratmeter große Stahlplatten, gewölbt wie Schutzschilder, hat Rutman auf Eisenständer gepflockt und ihnen vertikal fünf dicke Stahlsaiten verpasst. Eine simple Skulptur. Doch es war ein jahrelanger Prozess, bis die Celli endlich die von Rutman gewünschten Geräusche von sich gaben, und zwar durch vehementes Streichen der fingerdicken Saiten mittels der Bow Chimes, primitiver selbstgezimmerter Violinbögen mit Angelschnur. Rutman konnte sich nie mit herkömmlichen Klangerzeugern zufrieden geben, er brauchte experimentelle Instrumente als Sprachrohr seiner selbst.

Außerhalb der Musik aber vermeidet er überflüssige Worte. Er ist streng, aber nicht unherzlich und neigt zum Sarkasmus: „Ich hätte auch als Lampenschirm enden können“, sagt er zum Beispiel und lacht dann diabolisch. Seine von Reibelauten gebrochene Stimme erzählt von Flucht, Verwirrung und dem Kampf, zwischen vielen Welten seine eigene Stimme zu finden.

Rutmans Lebensgeschichte beginnt kurz vor der Machtergreifung der Nazis in Berlin. Mit seiner jüdischen Mutter flieht er 1938 nach Polen. Über Finnland, Schweden und England landet er 1950 in New York. Rutman lacht in sich hinein: „Nach dem Krieg schickte man mich dort zum Militärdienst, also war ich zwei Jahre als GI in Heilbronn.“ Danach studiert er Kunst in New York und Mexiko. Dort schloss er enge Freundschaft mit dem Beatpoeten Philip Lamantia. In den Sechzigern baut Rutman den Prototyp seines Steel Cello – es wurde später als klingende Stahlskulptur vom Museum of Modern Art ausgestellt – und unternahm in der Folgezeit Tourneen durch Amerika und Europa. Kurz vor dem Mauerfall kehrte er in seine Geburtsstadt Berlin zurück.

Heute sind Rutman und seine Musiker imstande, ihren Stahlcelli kaum mehr wahrnehmbare Hochtöne und tief vibrierende Bässe zu entlocken. Rutman wird als Virtuose auf seinen Cello-Unikaten und als Komponist bedrohlicher Klangsuiten weltweit gefeiert. In den Resonanzklängen seiner Stahlinstrumente verbinden sich archetypische Urklänge mit eigentümlichen modernen Klangstrukturen. Diese Musik schafft eine seltene Atmosphäre, schafft Raum für Meditation und für das Träumen von der Zeit der Beat Generation, deren Geist Rutman bis heute treu geblieben ist.

Karg lebt der alte Beatnik im Hochpaterre in der Steinstraße in Mitte. Seit zwei Schlaganfällen fällt es ihm schwer, das Gleichgewicht zu behalten. Und doch bewundern seine Fans noch immer den starken Mann in ihm. Einen Bildhauer, der nicht aufgibt, der weiterkämpft, weiterarbeitet, Pläne schmiedet. Ein kleiner Kreis von Freunden hilft Rutman durch den Alltag: Ständig müssen die zentnerschweren Monstren von Instrumenten zu den Konzertorten bewegt werden. White Trash, Eschloraque, Ex ’n’ Pop – die Underground-Spelunken sind Bob Rutmans nächtliche Lebenswelten. Zwischendurch gastiert er aber auch mal auf den Bühnen der Hochkultur, in der Philharmonie zum Beispiel. Und Ende Juni geht er mit Sarah Wrights Puppentheater „Silent Tide“ auf Balkantournee.

„The Beat Goes On“: Bob Rutman feiert morgen im „Terzo Mondo“ (Grolmanstr. 28) Geburtstag; Gastmusiker sind u. a. der tibetische Mönch Gelek, der indische Sitar-Spieler Lüül und ein kasachischer Akkordeon-Virtuose; es werden Texte der Beat-Generation gelesen