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Archiv-Artikel

Luden vermissen die Polizei

SELBSTJUSTIZ Zuhälter auf St. Pauli heuern Schläger an, um diebische jugendliche Flüchtlinge einzuschüchtern. Diese hätten von Huren abgelenkte Freier beklaut

„Wir versuchen mit pädagogischen Mitteln einzuwirken und bei den meisten klappt das auch“

MARCEL SCHWEIZER, SPRECHER DER SOZIALBEHÖRDE

VON KAI VON APPEN

Auf St. Pauli läuft ein Kiez-Krieg der neuen Art: Von Zuhältern angeheuerte Schläger haben am Wochenende im Rotlichtmilieu Jagd auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gemacht, weil sie den für die Luden anschaffenden Prostituierten das Geschäft mit Freiern vermasseln würden. Fünf Minderjährige sind schwer verletzt in Kliniken eingeliefert worden.

Laut Polizei griffen zwei Männer Samstagmorgen gegen 3.05 Uhr mit Schlagstöcken zunächst einen 15-Jährigen mitten in der Herbertstraße an, so dass er mit einer Platzwunde im Gesicht und einem Riss an der Lippe in eine Klinik gebracht werden musste. Zeitgleich traktierten fünf Schläger mit Knüppeln auf der Reeperbahn zwei 16-Jährige Afrikaner, bis einer bewusstlos zu Boden ging. „Er wurde von Polizeibeamten nicht ansprechbar mit blutenden Gesichtsverletzungen gefunden“, berichtet Polizeisprecher Andreas Schöpflin.

Wenig später wurde ein Jugendlicher mit starken Gesichtsverletzungen im Bereich des Mundes vor der Davidwache angetroffen und kam mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus. Er habe sich nicht äußern können und seine Identität sei noch ungeklärt, sagt Schöpflin. Auch in der Nacht zum Sonntag wurde ein Jugendlicher von fünf Schlägern mit Knüppeln attackiert, so dass er zu Boden ging. „Einer der Männer trat danach auf das Opfer ein“, sagt Schöpflin. Der 15-Jährige habe diverse Verletzungen über den gesamten Körper verteilt, sagt Schöpflin.

Die Zuhälter beschuldigen die Jugendlichen, Freier bei der Kontaktanbahnung beklaut zu haben: Während sie sich darauf konzentrierten, die Preise mit den Huren auszuhandeln, würden die Teenager den abgelenkten Männern die Portemonnaies aus der Tasche ziehen. „Seit über drei Wochen liegen wir der Polizei damit in den Ohren“, verteidigt eine anonyme „Kiezgröße“ in der Hamburger Morgenpost die brutale Selbstjustiz. „Immer an Wochenenden, den umsatzstärksten Tagen unserer Mädels, tauchte die Bande auf“, zitiert das Blatt den Zuhälter. „Wir sahen uns gezwungen, zu handeln.“ Schließlich habe man selbst „Streifen“ organisiert.

Polizeisprecher Schöpflin bestreitet, dass es Hinweise aus dem Milieu gegeben habe. Dass es auf dem Kiez zu Taschendiebstählen komme, sei der Polizei bekannt und es habe auch schon Festnahmen gegeben. Aber dass gezielt Freier ausgesucht worden seien, sei ein neues Phänomen. „Es liegt uns keine einzige Anzeige eines Freiers vor“, sagt Schöpflin.

Dass es sich bei den Kiez-Opfern um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge handelt, bestätigt der Sprecher der Sozialbehörde, Marcel Schweitzer, der taz. „Sie sind bei uns registriert.“ Die Teenager würden vom Kinder und Jugend-Notdienst und dem Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) betreut. Die Jugendlichen gäben oft an, mit kriminellen Taten Schulden bei ihren Schleppern begleichen zu müssen oder unter Druck zu stehen, Geld an ihre Familien in der Heimat zu schicken. „Das sagen sie uns zwar nicht, das sagen sie aber der Polizei“, bestätigt Schweitzer.

Ein Problem sei, dass viele minderjährige Flüchtlinge die Erwartung hätten, schnell arbeiten und Geld verdienen zu können, statt zur Schule zu gehen. „Wir versuchen mit pädagogischen Mitteln einzuwirken und bei den meisten klappt das auch“, sagt Schweitzer.

Insidern zufolge gibt es aber auch jugendliche Flüchtlinge, die nicht die „klassische Flüchtlingsbiografie des verwaisten Kindes“ hätten. Inwieweit sie Verpflichtungen gegenüber Schleppern hätten, würden sie verschweigen. Das sei eine kleine Minderheit, die sich allerdings gegenüber Sozialpädagogen beratungsresistent zeige.