: Weil die Sonne für alle scheint
Ein revolutionärer Umbruch ist nötig, um die Demokratien ökologisch handlungsfähig zu machen: Ein Plädoyer für die Auflösung der Konzerne und das Ende fossiler Energien
Die G-8-Staaten werden sich als unfähig erweisen, ernsthafte Schritte zum Klimaschutz zu beschließen. Das Problem liegt tief: Der klimaschädliche Rohstoffverbrauch ist systembedingt. Der Kapitalismus erscheint so lange unverzichtbar, wie die enormen Kapitalkonzentrationen gebraucht werden, um fossile Rohstoffe zu finden, zu fördern, zu sichern und zu transportieren. Doch was würde geschehen, wenn – im Unterschied zu Heiligendamm – der fossilen Abhängigkeit tatsächlich ein Ende bereitet würde? Könnten nicht nur die Kohlekraftwerke und Ölbohrinseln, sondern auch der Kapitalismus selbst verschwinden?
Die Entstehungsgeschichte des Industriesystems gibt uns interessante Hinweise: Nicht technologische Innovationen wie Motoren, Stromnetze und so weiter waren im 19.Jahrhundert ausschlaggebend dafür, dass die großindustrielle Ausbeutung von Erdöl und Kohle begann. Diese Technologien hätten auch die Basis für eine Solarwirtschaft liefern können. Die Pioniere der Automotoren setzten noch auf Biokraftstoffe. Windräder und Wassermühlen hätten als dezentrale Kleinkraftwerke ideal zu der Erfindung von Elektromotoren und Stromnetzen gepasst. Der Aufbau einer auf regenerativen Energien beruhenden Industrie hatte aber den entscheidenden Nachteil, nur bescheidene Profit- und Machtmöglichkeiten zu versprechen. Die Sonne scheint für alle.
Dagegen hatte der Einstieg in eine fossile Wirtschaft einen strategischen Vorteil: Weitreichende Netze der Abhängigkeit versprachen dauerhaft hohe Renditen. Wie sollten aber jene enormen Kapitalkonzentrationen zustande kommen, die notwendig sind, um Pipelines, Tankstellennetze und Ölkriege zu finanzieren ?
Die dafür nötigen Kapitalkonzentrationen fielen nicht vom Himmel, sondern mussten von den Industriestaaten mit Hilfe einer komplexen Gesetzgebung geschaffen werden: vom Verfassungsrecht über das Kapitalgesellschaftsrecht bis zum Patent- und Markenrecht. Damit entwickelte sich seit dem 19. Jahrhundert ein Wirtschaftssystem, das strukturell unökologisch ist: Je mehr ein Gesellschaftssystem auf ökonomischer Machtkonzentration beruht, umso weniger ist es in der Lage, die Realität wahrzunehmen, Fehler zu erkennen und Lösungen zu entwickeln. Diese systembedingte Blindheit war entscheidend für den Untergang des Sowjetimperiums und vieler Hochkulturen seit dem alten Ägypten. Der heutige Kapitalismus ist die moderne Form der Pyramidenökonomie. Flexibel vermag er weltweit zu expandieren, bis die Biosphäre des Planeten kollabiert.
Doch so muss es nicht kommen: Wir haben nicht nur energietechnische, sondern auch sozialtechnologische Alternativen zur Pyramidenwirtschaft. Sie beruhen auf dem entgegengesetzten Zivilisationsprinzip, dem der Machtminimierung. In dieser Tradition kämpfte die Avantgarde der englischen, amerikanischen und Französischen Revolution für gewaltenteilige Demokratie und – heute fast vergessen – für eine antimonopolistische Wirtschaftsverfassung. Noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hat es viele Rechtsinstrumente gegeben, die verhinderten, dass die heutige Maschinerie des Raubbaus entstehen konnte. So erlaubte zum Beispiel das frühdemokratische Kapitalgesellschaftsrecht amerikanischer und europäischer Staaten die Gründung von Kapitalgesellschaften nur, indem die Kapitalakkumulation zeitlich und größenmäßig begrenzt und die Konzernbildung ausgeschlossen wurde. Diese vergessenen Technologien der Machtminimierung sind heute genauso überlebenswichtig wie die ökologische Technik.
Es ist notwendig, dem Oligopolkapitalismus sein wichtigstes Betriebsmittel, die fossilen Rohstoffe, zu nehmen. Es genügt aber nicht, die Antriebsart zu wechseln und sonst einfach weiterzumachen. Die nächste Stufe der ökologischen Zerstörung – zum Beispiel durch Biokraftstoff-Monokulturen – wäre programmiert.
Die Motoren des Expansionismus – die Konzerne – müssen demontiert werden, indem ihnen ihre rechtlichen Existenzvoraussetzungen entzogen werden. Das institutionelle Gehäuse des fossilen Zeitalters, das Konzern- und Aktiengesellschaftsrecht mit allen anderen Macht erzeugenden Rechtsregeln – muss aufgegeben werden, um die Logik der Naturzerstörung zu brechen. Die antimonopolistische Wende ist revolutionär. Aber sie besteht in nichts anderem, als die liberalen Grundideen der bestehenden Gesellschaftsordnung konsequent gegen ihre halbautoritären Strukturen durchzusetzen. Es geht einfach darum, das Prinzip gleicher Freiheit konsequent auf Ökonomie und Ökologie anzuwenden.
Der erste Schritt dafür ist die Trennung von Staat und Wirtschaft, um endlich das Primat rechtsstaatlicher Demokratie durchzusetzen. Alle institutionellen und personellen Verflechtungen zwischen der Wirtschaft und den Nationalstaaten und auf Ebene der Europäischen Union sollten aufgelöst werden. Damit die Demokratien ökologisch handlungsfähig werden, müssten sie systematisch das wichtigste Entmachtungsinstrument einsetzen – tatsächlichen Leistungswettbewerb.
Man streiche alle direkten und indirekten Subventionen und andere Marktverzerrungen für die Konzerne. In diesem marktwirtschaftlichen Sinne sollte etwa die Haftungsbeschränkung von Kapitalgesellschaften bei ökologischen Schäden aufgehoben werden. Kaum jemand würde dann noch in Unternehmen wie Shell und VW investieren; das Risiko wäre zu groß, irgendwann anteilig für unbezahlbare Schäden aufkommen zu müssen. Würden die Marktmanipulationen allein in Bezug auf klimaschädliche Produktion beendet, müssten die ökologischen Kosten und die Subventionen auch nur teilweise zurückgezahlt werden, die meisten Weltkonzerne würden insolvent – von der Auto- über die Chemie- bis zur Agrarindustrie.
Wie aber kann verhindert werden, dass sich das Kapital immer wieder in neuen Konglomeraten konzentriert? Dafür müsste zum Beispiel das Recht der Unternehmensverschachtelung und das heilige Prinzip der zeitlich unbegrenzten Kapitalakkumulation aufgehoben werden. Im Oligopolkapitalismus kann zwar jeder in börsennotierte Großunternehmen investieren, doch niemand hat ein Recht, sein Kapital wieder aus den Unternehmen abzuziehen. (Börse ist weitgehend Tausch zwischen Aktionären). Die Aktiengesellschaften sollten deshalb durch Kapitalgesellschaften ersetzt werden, die aus Mikrokapital mit begrenzten Laufzeiten bestehen. Das Kapital wäre so nicht mehr auf wenige Kapitalkanäle eingezwängt, sondern könnte Millionen von Mikrokapitalgesellschaften zufließen und damit ökologische Diversität, Kreativität und Fehlerfreundlichkeit ermöglichen.
So könnte mit dem fossilen Zeitalter auch der Oligopolkapitalismus überwunden werden. An seine Stelle könnte ein Mikrokapitalismus treten – als Voraussetzung einer solaren und egalitären Marktwirtschaft.
WALTER OSWALT
Walter Oswalt ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac und war von Anfang an Teil der ökologischen Protestbewegung. Er leitet das Walter-Eucken-Archiv. Im August erscheint von ihm im Lit-Verlag: „Konzernfreies Europa“.