: „Den Heiland nicht gefressen“
Predigen darf Eugen Drewermann schon seit 1992 nicht mehr. 2005 trat er aus der katholischen Kirche aus. Doch das hindert den Theologen, Autoren und Psychotherapeuten nicht daran, seine Interpretationen des christlichen Glaubens kund zu tun. In über 50 Büchern hat er gegen die Unterordnung unter Papst, Zölibat und Amtskirche angeschrieben. Zuletzt beschäftigte er sich auch mit den Märchen der Gebrüder Grimm. Geboren wurde Eugen Drewermann am 20. Juni 1940 in Bergkamen bei Dortmund. Der Mann mit der sanften Stimme wohnt heute in Paderborn und führt ein asketisches Leben ohne Telefon, Auto und Kühlschrank.
INTERVIEW: KATHARINA HEIMEIER
taz: Herr Drewermann, gehen Sie zum evangelischen Kirchentag?
Eugen Drewermann: Ich halte am Freitag, den 8., einen Vortrag über die Botschaft Jesu in Widerspruch zu den Theologen seiner Zeit. Ich glaube, dass die Aktualität des Themas außer Frage steht.
Empfinden Sie den Kirchentag auch als Ihren Kirchentag?
Ich fühle mich mit allen Menschen verbunden, die auf der Suche sind nach der Botschaft Jesu.
Sie sind seit zwei Jahren nicht mehr Mitglied der katholischen Kirche. Fühlen Sie sich mittlerweile eher den Protestanten zugetan?
Die römisch-katholische Kirche verweigert seit einem halben Jahrtausend die Anliegen der Reformation. Sie hat ein Bollwerk errichtet, das die Aufklärung, die Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert und die Frauenemanzipation im 20. Jahrhundert überstanden hat. Wer gehofft hat, beim Zweiten Vatikanischen Konzil einen Aufbruch miterleben zu können, muss jetzt erfahren, dass die Restauration unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. in vollem Gange ist.
Das beantwortet die Frage nicht.
Es ist nicht die Frage, ob man Katholik ist oder Protestant, die Frage ist, was man für ein Mensch ist. Dabei ist die Orientierung an der Person Jesu für mich absolut wichtig. Alles andere sind relative Fragen. Aber dass die Anliegen der Reformation mir außerordentlich wichtig und nah sind, ist keine Frage.
Der Kölner Kardinal Meisner hat vor dem Kirchentag darauf hingewiesen, dass es Katholiken verboten ist, am evangelischen Abendmahl teilzunehmen. Was halten Sie davon?
Man kann diese Haltung nur auf dem theoretischen Hintergrund verstehen, aber niemals rechtfertigen. Nur ein katholischer Priester, der von einem katholischen Bischof geweiht ist, hat nach Ansicht der katholischen Kirche die Macht, während einer Messfeier Brot und den Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi zu verwandeln. Ein evangelischer Pfarrer kann demgegenüber machen, was er will, er ist eben nicht geweiht von einem katholischen Bischof. Und deswegen ist das protestantische Abendmahl nach diesem Verständnis ungültig und unwürdig. Aber natürlich ist das ein Skandal: Jesus hat Menschen eingeladen, gerade weil sie ausgegrenzt waren, chancenlos waren, verachtet wurden von den Schriftgelehrten. Bettler, Huren, Zöllner – Menschen, die am Boden lagen. Aus dieser Einladung an alle jetzt ein Prämiensystem der Rechtgläubigkeit und des Rechtverhaltens im römischen Sinne zu machen geht nicht an. Es führt dahin, dass der Jude Jesus an seinem eigenen Abendmahl nicht mehr teilhaben dürfte, es führt zum Ausschluss aller Wiederverheirateten, Geschiedenen und so weiter.
Sie selbst sind von den Sakramenten der katholischen Kirche ausgeschlossen und dürfen nicht zur Kommunion gehen. Halten Sie sich daran?
Um überhaupt wieder würdig zu werden, in der katholischen Kirche ein Sakrament zu empfangen, müsste ich als Erstes öffentlich meine Sünden beichten. Zum Beispiel müsste ich sagen, ich hätte Menschen in die Irre geführt – etwa durch ein Interview wie dieses. Dann könnte mir vergeben werden durch einen Beicht- und Bußakt, und dann könnte nach dem gültigen kirchenrechtlichen Verfahren vielleicht eine Rückaufnahme stattfinden. Aber an all das denke ich natürlich überhaupt nicht.
Wie werden Sie selbst es mit dem Abendmahl auf dem evangelischen Kirchentag halten?
Das weiß ich nicht. Ich habe bereits an einer Reihe von Abendmahlfeiern mitgewirkt und finde, das ist im Sinne Jesu. Mein eigener Vater war evangelisch. Sein simpler Kommentar war: Die Katholiken haben den Heiland auch nicht gefressen.
Die Ökumene ist ein wichtiges Thema des Kirchentags. Ist es clever, den ausgerechnet in der Stadt von Kardinal Meisner zu feiern?
Ich sehe darin keine Provokation. Die Protestanten haben Köln ganz sicher nicht ausgesucht, um den Kardinal zu ärgern. Außerdem geht es für mich in der Ökumene ohnehin um mehr als um das Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten. Viel wichtiger als diese innerchristlichen Gespräche ist es, sich mit den Juden zu verständigen und gleichzeitig mit den Muslimen. Das sind ja Geschwister oder Brüder innerhalb derselben biblisch fundierten Religionsgeschichte und Frömmigkeit. Es ist nicht möglich, von Gott ein wahres Wort zu wissen, ohne dass diese Ökumene stattfindet. Wir können dazu von den Buddhisten lernen, was Gewaltfreiheit ist, von den Hindus, wie man mit Tieren umgeht, von den Naturreligionen, wie man den Menschen einordnet in die Welt. Kurz: Wir müssten ein gemeinsames Gespräch aller Religionen führen. Erst dann würden wir die Relativierung und den Starrsinn dieser rein innerchristlichen Diskussion begreifen, die seit 500 Jahren ins Leere läuft. Gott ist unendlich viel größer als seine jeweilige Kirche, und ganz sicher ist er nicht der Gefangene oder der Lokalgötze des Vatikan.
Der Dialog der Religionen – droht er zu scheitern?
Er hat noch nicht einmal stattgefunden. Es hat spektakuläre Veranstaltungen des Monologs gegeben, in denen Johannes Paul II. nach Assisi einlud. Da sah man ihn dann Texte vorlesen und die anderen zuhören. Das ist kein Gespräch.
Macht Papst Benedikt etwas anders?
Der Papst ist schon insofern ein Unglück für die Ökumene, als dass er der Papst ist. Es ist nicht möglich, als Gottes Stellvertreter auf Erden zu wirken. Gott ist nicht so ohnmächtig, dass er Stellvertreter brauchen würde.
Brauchen wir im Sinne des Dialogs der Religionen einen muslimischen Feiertag?
„Der Dialog der Religionen hat noch nicht stattgefunden“, sagt der aus der katholischen Kirche ausgetretene Theologe Eugen Drewermann. Um das zu ändern, will er auf dem evangelischen Kirchentag sprechen. Und zum G-8-Gipfel nach Heiligendamm fährt er natürlich auch noch
Das wäre der Austausch von Gesten, die nicht viel bewirken würden. Ich glaube nicht, dass es vor Gott wichtig ist, ob man den Freitag, Samstag oder Sonntag zum heiligen Tag der Woche macht. Wie man den Menschen von seiner Ausbeutung im Kapitalismus frei macht, ist eine wichtige Frage – und zwar rund um die Uhr.
Die katholische Kirche muss immer mehr Gebäude aufgeben. Wie stehen Sie zur Umwandlung von Kirchen in Moscheen?
Offensichtlich gibt es für fast vier Millionen Muslime, die aktiv eine Moschee besuchen, ein gewaltiges Bedürfnis, Versammlungsorte zu haben...
...während gleichzeitig ja die Mitgliederzahlen bei der katholischen Kirche sinken.
Und die Kirchensteuereinnahmen auch. Die Kirchen in ihrer verfassten Form haben lange schon aufgehört, innovativ für die Gesellschaft zu sein.
Würden Sie also den Umbau von Kirchen in Moscheen befürworten?
Ich bin absolut dafür. Wir haben Religionsfreiheit in Deutschland, und also müssen die Muslime freies Recht haben, Versammlungsorte zu gründen.
In Bielefeld halten Gemeindemitglieder eine evangelische Kirche besetzt, sie soll an die Jüdische Kultusgemeinde verkauft werden.
Die taz bietet auf dem Kirchentag Informationen, Gespräche und mehr: auf der Medienmeile in Halle 6 des Kölner Messegeländes – in der kommenden Woche täglich von Donnerstag bis Samstag. Zusätzlich gibt‘s leckeren, natürlich fair gehandelten Kaffee des Wuppertaler Handelshauses Gepa, aktuelle taz-Freiexemplare – und abonniert werden kann die einzige Überregionale mit NRW-Teil dort selbstverständlich auch.
Man würde sich weigern, das Gebäude den Muslimen zu geben. Auch das ist schon wieder eine Asymmetrie oder Einseitigkeit der Bevorzugung.
Die Besetzer sagen, sie würden sich gegen jeglichen Verkauf wehren, egal an wen.
Man sollte einen Ort, der durch Erinnerung lieb und wert geworden ist, nicht mit Gott verwechseln. Ich kann verstehen, dass Menschen an einem Gebäude hängen, in dem ihre Kinder getauft sind, in dem die Großmutter beerdigt wurde. Natürlich schafft das Verbundenheit. Aber Gott ist ganz sicher kein Lokaldämon, der magisch eingebunden werden könnte in vier Wände.
Zeitgleich zum Kirchentag findet der G-8-Gipfel in Heiligendamm statt. Bekommen Sie Terminprobleme?
Ich werde auch nach Heiligendamm fahren und dort gegen den globalisierten Kapitalismus reden, weil er in unvorstellbarem Maße die Welt ausplündert, die Menschen ausbeutet, weil er, um seine Gewalt zu stabilisieren, unendliche Summen für militärische Rüstung und Kriegsführung verschlingt. All das ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Und weil unsere Regierung fleißig bei all dem mitmacht, muss man ihr da widersprechen.