misik ist genial dagegen
: Wer Zäune und Mauern baut, hat schon verloren

ist G-8-Kolumnist der taz. 2005 erschien von ihm „Genial dagegen“ (Aufbau-Verlag). Am Sonntag um 12.00 Uhr ist er Gast beim ARD-Presseclub

Mit den Wehranlagen ist das so eine Sache. Sie sollen der Gewalt wehren, ziehen sie aber magnetisch an. Im Sommer 2001 haben sie ganz Genua mit einem hohen Eisenzaun eingefriedet und die abgeschirmte City zur „Roten Zone“ erklärt. Das Resultat: Alle Anti-G-8-Demonstranten wollten in die „Rote Zone“ rein.

Seit Menschengedenken ist es eigentlich so: Die Mächtigen bauen Mauern. Aber die Mauern sind meist kontraproduktiv – auch im engeren Sinne ihrer Erfinder. Weil sie suggerieren, die Schlacht sei gewonnen, wenn die Mauer überrannt wäre, versuchen alle, die Mauer zu überrennen.

Wehranlagen sind also eher Gewaltanziehanlagen. Man kann sagen, das ist die Rache der Mauern an den Mauerbauern. Trotzdem bleiben Mauern verführerisch für Ordnungsfanatiker: Sie scheinen einfache Lösungen zu sein. Tatsächlich sind sie weit davon entfernt, Probleme zu lösen, sondern werden schnell zu Metaphern für diese. Das SED-Regime wollte seine Herrschaft mit einer Mauer stabilisieren. Prompt wurde der Kampf gegen diese Mauer zum Synonym für den Kampf gegen das SED-Regime. „Die Mauer muss weg“ hieß „Die Kommunisten müssen weg“.

Mauerbau, Mauersturm, das hat metaphorische Wucht. Im biblischen Buch Josua ziehen die Israeliten bei ihrer Eroberung des verheißenen Landes sechs Tage um Jericho und blasen in die Posaunen. „Als das Volk den Hall der Posaunen hörte, erhob sich ein großes Kriegsgeschrei. Da fiel die Mauer um.“ Erstaunlich, dass trotz dieser jahrtausendealten Geschichten die Machthaber noch immer nicht begriffen haben: Die Menschen mögen Mauern nicht.

In Bagdad wollten die Amerikaner jüngst eine Mauer um den Stadtteil Adhamija bauen, der mehrheitlich von Sunniten bewohnt wird – offiziell, um sie gegen Übergriffe von den Schiiten zu schützen. Vier Jahre nach der Befreiung von Saddam Hussein müssen die Befreiten eingemauert werden, damit die Befreiten die Befreiung überleben.

Wehranlagen, Mauern, Zäune sind so auch immer Monumente des Scheiterns. In Heiligendamm wird es nicht anders sein. Indem sie den Zaun hochzogen, haben die G-8-Staatenlenker schon verloren. Sie müssen sich verschanzen. Sie sind die Loser. Wie alle Mauerbauer vor ihnen.