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Archiv-Artikel

Sternenhimmel, verpiss dich!

Die Wahrheit stellt klar: Was da oben nachts Funkelndes prangt, ist ein rechter Dreck

Es wäre zum Speien, wenn man nicht schon reihern müsste

„Der Mond ist aufgegangen, / er geht auch wieder unter. / Die goldnen Sterne prangen, / ich hol mir einen runter. / Der Wald steht schwarz. / Mir kommt das Harz“: Wohl jeder kennt die ersten sechs Zeilen aus dem berühmten „Abendlied“ des Matthias Claudius. Gleich ihm erging es fast allen Poeten, Lyrikern und Versemachern beim Anblick des gelb gesprenkelten Nachthimmels. Der normal Veranlagte verfluchte ihn schon immer als düsteres Verhängnis, wenn er auf schmalem Bergpfad schwankend den steilen Heimweg von der kuscheligen Dorfschenke in seinen einsamen Einödhof wackelnd ging und finden musste; noch heute gruselt es ihn vor der nächtlichen Heimfahrt am eigenen Steuer über verlassene Landstraßen durch schlimme Wälder. Das Dichtervölkchen aber machte sich zum weltfremden Apologeten eines blinden Himmels, zum naiven Lobredner eines tumben Monds und zum beknackten Hofsänger eines erzkitschigen Sternenflitters – es wäre zum Speien, wenn man nicht schon reihern müsste!

Während der prosaisch denkende, hundsnormale Plebs über den strahlend blauen Tageshimmel mit aufgerissenem Mund jubelt und über die grelle Sonne nackend vor Begeisterung rast, gilt die Verehrung des mit einer Mondgeschwulst und Sternenpickeln aufwartenden Nachthimmels als Ausweis von Bildung und Kultur, als Zeugnis eines feiner gestrickten Gefühlslebens. Dass in Wahrheit das Hirn auf Halbmast geht: Was verschlägt’s? „Seht ihr den Mond dort stehen? – / Er ist nur halb zu sehen / Und ist doch rund und schön!“, so entlarvte sich der bereits genannte Dichter und Trottel M. Claudius selbst.

Aber nicht nur exaltierte Reimeschmiede und verliebte Schleimer lassen und ließen sich blenden. Die frühen Religionserfinder erblickten im Sternengefunzel das ewige Götterkleid der Nacht; bis heute sind diese Priester und Deppen nicht außer Dienst gestellt und in der Tonne, sondern quetschen als teure Astrologen den Gläubigen pralles Geld aus den bescheuerten Rippen. Zusätzlich traten an die Seite der irren Mythenbastler und Religionsausbrüter ihre modernen Geistesverwandten, die Philosophen, denen angesichts des gestirnten Himmels zu ihren Häupten komplett der Verstand ausleierte und durch moralischen Ewigkeitsquark streng ersetzt wurde. Die ethisch getarnte, in ihrem nackten Kern autoritär preußisch-präfaschistoide Haltung eines Immanuel Kant bereitete bekanntlich dem mörderischen Einsatz des deutschen Volkes für Sitte und Ordnung, seiner diabolischen Unterwürfigkeit gegenüber Staat und Herrschaft die böse Bahn und führte geradewegs zum Hitler. Schuld: der Sternenhimmel.

Zwar hat die brandaktuelle Astrophysik den Sternenhimmel längst entzaubert, hat die großen Täuschungs- und Betrugsmanöver von Religion, Philosophie und Lyrik seit Jahr und Tag enthüllt. Was da oben flimmert, funkelt und rumkaspert, erwies sich bei näherem Hinsehen ja als nichts anderes als alberne Sonnen, lächerliche Galaxien und aufgedunsene Galaxienhaufen; als bornierte Planeten und tückische Asteroiden, kindische Meteoriten und närrische Kometen.

Und doch: Der Mensch ist selbst durch besseres Wissen unbelehrbar. Mag in Wirklichkeit die Schaurigkeit des Sternenhimmels nur übertroffen werden von seiner Abscheulichkeit, die einzig von seiner Grauenhaftigkeit überboten werden kann: Der lyrisch Geartete schmilzt dahin beim Anblick der Sterne, dieser Insekten des Nachthimmels; verzückt seufzend halten feenhafte Poeten mit langen dünnen Fingern an den sensiblen Händen und romantisch gebaute Gemüter mit zu viel Gefühl im Kopf und zu wenig Gehirn in der Hose dem Mond ihr eigenes gelbes Gesicht entgegen, verdrehen die Augen seelenwärts und würden vor Inbrunst schmachtend den Sternenhimmel am liebsten aufessen. Was wäre denn auch der Himmel ohne den herrlichen Sternenhimmel!, schwärmt selig der Schwärmer; nichts wäre der Sternenhimmel ohne den herrlichen Sternenhimmel!, erwidert trunken die Schwärmerin. Ohne den herrlichen Sternenhimmel wäre der herrliche Sternenhimmel nicht einmal zu denken!, ruft selbst mancher nüchterne Denker am Ende betört.

Doch mag der Sternenhimmel auch als alternativlos gelten, da er schließlich und endlich ohne Alternative sei: Genauso alternativlos ist die Kritik an ihm, da die einzige Alternative darin bestünde, angesichts dieses Monds, des großen Onkels am Himmelszelt, und der ulkigen Sterne, dieser winzigen Warzen am Firmament, sich in poetischen, philosophischen oder sonst welchen Ergießungen zu verströmen. Das aber wäre so lachhaft, dass man fragen muss, ob es überhaupt noch lachhafter geht, denn lachhafter geht es wirklich nicht mehr!

PETER KÖHLER