Dem Redeverbot trotzen
BLOGS Wie aus Ai Weiwei ein politischer Mensch wurde, zeigt eine Lesung seiner Texte in Berlin
Am Ende der Veranstaltung „Herta Müller, Norbert Bisky und Uwe Kolbe lesen Texte von Ai Weiwei“ im Berliner Literaturhaus in der Fasanenstraße dankte dessen Hausherr Ernest Wichner den Gästen für ihr Kommen – und entließ sie damit. Einfach so. Ganz ohne Diskussion. Die Gäste mussten sich also, was ja vor allem heißt: durften sich also ihre eigenen Gedanken zu dem gerade Gehörten machen. Das Literaturhaus ist eben doch ein Hort der Zivilisation.
Auch Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die am Ende ihrer Lesung an den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo erinnert und dessen Freilassung gefordert hatte, verweigerte das von Funk und Fernsehen gewünschte Interview: „Dieser Abend will ein Statement sein.“ Zwar ist der chinesische Documenta-12-Teilnehmer und Aktivist Ai Weiwei inzwischen aus der Haft entlassen, aber er steht unter Hausarrest. Einige seiner Mitarbeiter sind noch immer verschwunden. Nichts ist also gut an diesem Montagabend, an dem der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao zu den ersten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin eingetroffen ist.
„Begrabt die Kinder. Gebt ihnen Milch, von denen sie Nierensteine bekommen, und tut so, als sei nichts gewesen. Überzieht das Land mit Gewalt, aber wagt es nicht, den Tatsachen ins Auge zusehen. Und so wollt ihr euch in dieser Welt behaupten? Ich kann es wirklich nicht glauben“, bloggt Ai Wewei am 20. November 2009. Danach löschten die Machthaber, die sich genau so in der Welt behaupten, seinen Blog, den er bis dahin vier Jahre lang unterhalten hatte. Aber Ai Weiwei hatte vorgesorgt. Schon längst hatte er gemeinsam mit der amerikanischen Autorin Lee Ambrozy eine Buchausgabe seiner Texte zusammengestellt. Zunächst geht es in ihnen um künstlerische Selbstvergewisserung, aber bald schon gerät ihm das gesellschaftlichen Umfeld seiner künstlerischen Tätigkeit in den Blick. Wie die Lesung aus der im Juli beim Galiani Verlag in Berlin erscheinenden deutschen Ausgabe zeigte, ist „Ai Weiwei – Der verbotenen Blog“ das beeindruckende Dokument einer zunächst ganz allmählichen, später umso rasanteren persönlichen Politisierung.
Was es aber heißt, politisch mündig zu werden, muss den Machthabern per definitionem verschlossen bleiben. Und so entgeht ihnen, jetzt gerade eben in China, dass das, was sie als überflüssiges Ärgernis begreifen, auf der Gegenseite ein unumkehrbarer Entwicklungsroman ist. Und im Fall Ai Weiwei ein ungeheuer spannender dazu. Obwohl ein Redeverbot über ihn verhängt ist – das kann man nun wirklich glauben: Seine Stimme wird in diesem Sommer deutlicher und weiter denn je zu hören sein. BRIGITTE WERNEBURG