Über Sex kann man nur auf Englisch singen

LYRIK Radio Bremens Hörspielproduktion „Children of Adam. Kinder Adams.“ vertont Gedichte von Walt Whitman. Mit dabei: Musik-Legende Iggy Pop, der einige Texte im englischen Original spricht

Die Grenze zwischen Männern und Frauen verschwindet

Es ist schon ein bisschen mutig von Radio Bremen, ein Hörspiel allein mit Lyrik zu bestreiten. Und dafür ist die Produktion von Regisseur Kai Grehn dann auch recht aufwendig: Für den Gedicht-Zyklus „Children of Adam“ von Walt Whitman sind elf Sprecher angetreten. Und es ist sogar eine richtige Sensation darunter: Musik-Legende Iggy Pop.

Auch der Dichter ist von Weltrang. Whitman hat im amerikanischen Bürgerkrieg eine neue, weltoffene USA erdichtet. Diese Visionen zählen zu den Ursprüngen der modernen amerikanischen Literatur. In „Children of Adam“ geht es um Erinnerungen an vergangene Begegnungen und das Getrennt-sein. Den Sprechern gelingt es ausgesprochen gut, das auch Hörern zu vermitteln, die mit dem christlichen Paradies wenig anfangen können. Für Whitman ist dieses religiöse Motiv eine Idee, kein Bekenntnis. Gott kommt nicht vor. Die Kirche schon gar nicht. Stattdessen geht es um Natur und um Liebe – besonders um körperliche.

Weil Whitman das Begehren anderer und die Lust am eigenen Körper nicht trennt, verschwindet die Grenze zwischen Männern und Frauen. Whitmans mögliche Homosexualität beschäftigt heute seine Biografen und Literaturwissenschaftler. Früher waren die erotischen Gedichte verboten.

Auffällig an der Hörfassung ist, dass gerade die triefigsten Gedichte von Iggy Pop gesprochen und nicht übersetzt wurden. Die Interpretationen unterscheiden einander nicht nur inhaltlich. Während die Schauspielerin Paula Beer ihre Texte andeutungsvoll flüstert, spricht die 50 Jahre ältere Marianne Sägebrecht fast beiläufig – mit unterschwelliger Schärfe.

Die meisten Gedichte werden von je einem Sprecher vorgetragen. Machmal kommunizieren sie aber auch: Übersetzen einander vom Deutschen ins Englische, oder überlagern sich als Echos. Darin liegt keine aufdringliche Botschaft, sondern ein Spiel mit Klang. Die Gedichte funktionieren wie Stücke auf einem Musik-Album. Untermalende Beats und Elektro-Sounds deuten Melodien an. Gesungen wird zwar nicht, aber wenn Iggy Pop über die Trommeln raunt, entsteht sowas Ähnliches wie ein Song. Und davon hat Iggy, der „Godfather of Punk“, schon erheblich schlechtere gemacht.

JAN-PAUL KOOPMANN

Ausstrahlung: 2. November, 17.05 Uhr, Nordwest-Radio