: Wettbewerb für die Schwachen?
KONKURRENZ Der Ökonom und Philosoph Christoph Lütge versucht eine ethische Begründung des Neoliberalismus
Wirtschaft hat mit Ethik nichts zu tun. So sagen traditionell Ökonomen. Einige von ihnen arbeiten allerdings unter Mitwirkung mancher Philosophen seit einiger Zeit daran, das zu ändern. Allerdings nicht so, dass sie ethische Maßstäbe etwa an die Finanzkrise, den Klimawandel oder die globale Armut ausarbeiten, sondern so, dass sie den Wettbewerb in einer globalisierten Welt als per se ethisch wertvoll darstellen.
Der Ökonom und Philosoph Christoph Lütge hat dazu kürzlich ein leicht lesbares kurzes Buch vorgelegt. Seine These ist: Möglichst viel Wettbewerb ist nicht nur ökonomisch, sondern sogar ethisch geboten, quasi als eine Art neoliberale Ethik – denn er nütze am Ende allen. Das übersähen viele wirtschaftskritische Geister.
Lütge versteht den Begriff Wettbewerb weit, nicht nur als Wettbewerb in wirtschaftlichen Fragen. Er versteht darunter Konkurrenz nach Regeln. Wettbewerb sei insbesondere die geeignete Lösung für den Umweltschutz, fürs Gesundheitssystem und für viele andere gesellschaftliche Probleme. Staatliche Gängelung sei zu begrenzen, das freie Spiel der Kräfte, wenn auch nach Regeln, sei die Lösung etwa für Umweltprobleme.
Nun leuchtet ja ein, dass Konkurrenz Menschen zuweilen zur Leistung antreibt und dabei oft mehr, gerade an materiellem Wohlstand, herauskommen kann. Doch Wettbewerb kann auch manchmal schaden: Ein freier Welthandel beispielsweise nützt Entwicklungsländern heute teilweise wenig, weil ihre noch wenig entwickelten Industrien dann schlicht von westlichen Unternehmen niederkonkurriert werden. Genau deswegen haben selbst Länder wie Deutschland während ihrer Industrialisierungsphase im 19. Jahrhundert auf Zollschranken und Protektionismus gesetzt – und gerade nicht auf freien Wettbewerb. Denn man wusste: Wettbewerb hilft keineswegs immer den Schwachen, wie Lütge suggeriert.
Die Vorstellung, eigennutzengetriebener Wettbewerb nutze wegen seiner wohlstandsvermehrenden Kraft am Ende allen, hakt noch an einer anderen Stelle: Immer weitere Wohlstandsvermehrung ist aus ökologischen Gründen keine Option, zunächst in den Industriestaaten, in fernerer Zukunft aber auch in anderen Staaten nicht mehr.
Probleme wie der Klimawandel sind nicht auf ausschließlich technischem Wege zu lösen. Dafür sind die Herausforderungen vielleicht schlicht zu groß – nötig ist auch, dass wir alle uns anders verhalten. Also nicht nur effizienter Auto fahren, sondern einfach auch weniger Autos haben. Weniger haben könnte dann aber heißen: Abschied von der Wachstumsgesellschaft.
Dennoch kann das Marktprinzip auch einen so weitgehenden Umweltschutz fördern. Wenn etwa Ressourcen planmäßig durch Abgaben verteuert werden, wird in einer konkurrenzgetriebenen Marktwirtschaft ein Wettbewerb um bessere Umwelttechnik stimuliert. Ebenso entsteht aber auch ein Anreiz, weniger zu verbrauchen. Das ist dann aber gerade nicht die Fortführung von Lütges scheinbar auf ewig gestellter Wachstumsgesellschaft. Ressourcenbepreisung ist außerdem viel mehr als nur eine einrahmende Verhaltensregel für den Wettbewerb, wie sie Lütge fordert.
Dass Menschen teilweise egoistisch sind und darum dazu neigen, einander Konkurrenz zu machen, stimmt zwar. Lütge blendet aber wie viele Neoliberalismusaffine aus, dass es beim Menschen nie nur Konkurrenz gibt. Sondern auch Kooperation, jedenfalls ab und an und nicht nur dort, wo man sofort einen egoistischen Vorteil davon hat. Das kann man sogar evolutionsbiologisch erklären: Gerade die Kombination von Konkurrenz und Kooperation nützt uns Menschen auf Dauer. Allein der Konkurrenzfokus von Lütge, so wichtig er ist, ist daher zu wenig. FELIX EKARDT
■ Christoph Lütge: „Ethik des Wettbewerbs. Über Konkurrenz und Moral“. C. H. Beck Verlag, München 2014, 154 Seiten, 12,95 Euro