piwik no script img

Archiv-Artikel

„Die Freude am Schreiben erhalten“

DIDAKTIK Mit der neuen Grundschrift kommen schwächere Schüler besser zum Ziel einer lesbaren Handschrift, erklärt Deutsch-Referent Heinz Grasmück. Hamburg stehe damit nicht allein

Heinz Grasmück

■ 48, ist Oberschulrat am Landesinstitut für Lehrerbildung und als Referatsleiter für die Qualität des Fachunterrichts in Deutsch und bei den Künsten zuständig

taz: Herr Grasmück, Hamburg erlaubt ab dem nächsten Schuljahr den Grundschulen eine neue Schrift aus unverbundenen Buchstaben. Kritiker fürchten den Verlust der Schreibkultur. Haben Sie mit dieser Aufregung gerechnet?

Heinz Grasmück: Nein. Aber ich kann sie mir erklären. Wenn man sagt, die Schreibschrift wird abgeschafft, hört sich das für viele so an, als wenn die Sonne abgeknipst wird. Aber wir schaffen die Schreibschrift nicht ab. Im Gegenteil. Wir wollen mehr Kinder zu einer gut lesbaren eigenen Handschrift bringen. Die neue Grundschrift, die der Grundschulverband entwickelt hat, besteht nicht bloß aus Druckbuchstaben. Diese haben kleine Schwünge, die sich gut verbinden lassen. Daraus entwickelt sich eine Schreibschrift.

Welchen Nutzen bringt das?

Schon heute beginnen die Kinder mit Druckschrift, lernen dann aber in der zweiten Klasse die verbundene Schulausgangsschrift. Mit diesem Schreiblehrgang ist bei vielen Kindern viel Leid verbunden. Dieses Reproduzieren einer genormten Schreibschrift verbraucht viel Aufmerksamkeit. Die Handhaltung ist oft verkrampft. Dies führt später nicht gerade zu einer gut lesbaren Handschrift. Wir wollen, dass die kindliche Freude, mit Schrift umzugehen, erhalten bleibt.

Kritiker sagen, da müssen die Kinder durch. Wer weiter in Druckbuchstaben schreibt, könne nicht zusammenhängend denken.

Das sind Behauptungen, für die es keine Beweise gibt. Auch wenn Sie einzelne Buchstaben schreiben, schreiben Sie ja Worte.

Die verbundene Schreibschrift soll wichtig für die motorische Entwicklung sein.

Gerade die wird bei dem ganzheitlichen Konzept der Grundschrift stärker berücksichtigt. Wenn wie bei der Lateinischen Ausgangsschrift der Stift durchgängig aufs Papier gedrückt wird, verkrampft die Hand. Deshalb verbinden auch Erwachsene nicht jeden Buchstaben.

Gibt es denn Belege für den Nutzen der Grundschrift?

Es gibt eine Studie von Christina Mahrhofer-Bernt über eine von ihr entwickelte „LufTschrift“, die der Grundschrift sehr ähnlich ist. Sie hat Zweitklässler in drei Gruppen geteilt. Eine lernte die Lateinische Ausgangsschrift, eine die Vereinfachte Ausgangsschrift und die dritte besagte LufTschrift. Alle drei Gruppen lernten flüssige Schreibbewegungen, aber die schwächeren Schüler kamen mit den einfacheren Formen der LufTschrift zu einem besserem Ergebnis.

Was ist die Gefahr, wenn Kinder beim Schreiben entmutigt werden? Funktioneller Analphabetismus?

Dazu kann es bei Erwachsenen kommen. Wenn sie lange nicht schreiben und sich als Kinder immer gedrückt haben. Deswegen sind viele Schreibanlässe für Kinder so wichtig.

Warum führt Hamburg als erstes Bundesland die Grundschrift ein?

Zunächst mal: Wir schaffen die alte Schulausgangsschrift nicht ab. Die neue Grundschrift ist nur nicht mehr verboten. Die Schulen haben die Wahl. Die Mehrheit der Bundesländer räumt ihren Schulen diesen Spielraum bereits ein, indem sie keine Schrift vorschreiben. In Hamburg musste der Bildungsplan in diesem Jahr neu verabschiedet werden. Ich bin für die Qualität des Deutschunterrichts zuständig und somit verpflichtet, neuere fachdidaktische Entwicklungen aufzunehmen.

Und nun lernt ein Hamburger Kind anders als im Nachbarland. Was passiert, wenn Familien umziehen?

Jeder Pädagoge wird es tolerieren, wenn die Schrift bei einen Kind anders entwickelt ist. Wichtig ist das Ziel einer klaren, lesbaren, flüssigen Handschrift. Auf diesen Bildungsstandard haben sich die Kultusminister geeinigt.

INTERVIEW: KAIJA KUTTER