: Tiefergelegte Augenhöhe
Lutz Hachmeisters neues Buch ist eine kommentierte Nacherzählung des Mediengeschehens der Berliner Republik – bis zu Gerhard Schröders Testosteron-Show nach der letzten Wahl
Kaum dass die Berliner Republik geboren war, wurde ihr die Stimmung auch schon gründlich verdorben. Die Medien waren dem ideologischen Vakuum nach dem Mauerfall 1989 und dem Sturm der Globalisierung in den 90er-Jahren nicht gewachsen, schreibt Lutz Hachmeister in seinem Buch „Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik“.
In Panik um den Erhalt von Werten und Wohlstand schlossen sich die publizistischen Wortführer zusammen und bildeten mit Politikern und Industriellen „eine Art geistige Nato“. Dieses Verteidigungsbündnis sollte Arbeit, Familie, Vaterland, ja sogar die Religion retten – und nicht zuletzt die eigene wichtige Position in der sich im 24-Stunden-Betrieb ausdehnenden „nervösen“ Kommunikationswirtschaft.
Besorgt in Wirklichkeit nur um sich selbst, verbreiteten die Medienmacher Alarmismus im teils besinnungslosen Dienst des Kapitals. Am Ende stand ober besser steht ein „spätbürgerlicher Neojournalismus“, der die Distanz zur Macht und damit seine Legitimation verloren hat. Das „linksliberale Projekt in der Publizistik“ ist tot, erklärt Hachmeister, der als Journalist und langjähriger Chef des Adolf-Grimme-Instituts selbst ein Akteur desselben Projekts war und heute Medienforscher ist.
Die Spannungen, die sich daraus im Politik-Medien-Gefüge ergaben, entluden sich am Abend der Bundestagswahl im September 2005: Nochbundeskanzler Gerhard Schröder wetterte gegen „Medienmacht und Medienmanipulation“ und verkündete irren Blicks in der denkwürdigen Fernseh-„Elefantenrunde“, Angela Merkel werde bestimmt nicht Kanzlerin.
Hachmeisters Buch ist im Wesentlichen eine kommentierte Nacherzählung des Mediengeschehens bis zu dieser Sternstunde des zeitgenössischen Politiktheaters – unter besonderer Berücksichtigung einzelner Persönlichkeiten: vor allem TV-Talkerin Sabine Christiansen, FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, sowie die Berliner Bürochefs von Spiegel, Stern und ZEIT – Gabor Steingart, Hans-Ulrich Jörges und Bernd Ulrich.
Hachmeister schreibt flüssig und originell. Mitglieder und treue Beobachter des Politmedienbetriebs mögen seinem Abriss jüngster Geschichte gern mit dem wohligen Nicken des Erinnertwerdens folgen. Stimmt, den Kommentar von Franz Walter oder Susanne Gaschke oder sonst wem fand man auch gut. Wem und wozu aber dienen jetzt noch Analysen des Medienkanzlertums von Gerhard Schröder oder des kommunikativen Grauens bei Sabine Christiansen? Die Beschreibung des Machtpersonals in unzähligen Zitaten und Anekdoten erklärt eben nicht, wie es zum reaktionären Untergangsgetöse unter Rot-Grün kam.
Schließlich unterschlägt Hachmeister komplett den so entscheidenden Faktor Wirtschaft: etwa dass eine Regierung umso verwundbarer ist, je miserabler der Arbeitsmarkt aussieht. Dadurch vergrößert der Autor ein weiteres Problem. So aktuell sein Buch aufgezäumt ist – in der großkoalitionären, aufschwungbeflügelten Republik ist es nicht angekommen. Dass der „jagende und destruktive“ Journalismus in der uneitlen, unmystischen Angela Merkel „keinen Widerpart“ findet, dass die Protagonisten desselben sich schrecklich langweilen, erwähnt Hachmeister zwar. Doch die Folge dessen ist, dass seine Kernthese vom „neokonservativen Zentrismus“ der Topjournaille zumindest wackelt.
Gabor Steingart, Hans-Ulrich Jörges und Bernd Ulrich, die vor einer Weile noch so tapfer für Schwarz-Gelb, Kopfpauschale oder Steuersenkungen gekämpft haben, stellen neuerdings wieder Umverteilungs- und Gerechtigkeitsfragen. Selbst der Mindestlohn – eben noch als PDS-Wahnwitz verhöhnt –, wird in ihren Blättern diskutiert.
Grund dafür ist nicht, dass der Konjunkturaufschwung Deutschland endlich voll erreicht hat und auch wichtige Medienmanager finden, dass Arbeiter daran teilhaben sollten. Doch potenzieren sprudelnde Steuern und der Abbau der Arbeitslosigkeit die satte Selbstgenügsamkeit der schwarz-roten Zweidrittelmehrheit. Wie egal die Medien plötzlich sein können, haben sie schließlich bei der Gesundheitsreform erfahren: Alle schreiben die Reform nieder, gemacht wird sie trotzdem. Die Berliner Bürochefs mögen sich „auf Augenhöhe“ mit den Regierenden fühlen – Merkel, Steinbrück und Müntefering kommen prima ohne sie aus. So etwas öffnet die Augen für ein breiteres Meinungs- und Ideenspektrum.
Vielleicht hat Hachmeister trotzdem recht, und ein linksliberales Medienprojekt ist mit der alten Bundesrepublik untergegangen. Wie so vieles. Doch ist der distanzlose, macht- und Schröder-Fischer-verliebte Journalismus auch mit Schröder-Fischer untergegangen. Wie aber der Hauptstadtjournalismus heute und in Zukunft funktionieren könnte, dazu bietet Hachmeister keine Erklärung an. ULRIKE WINKELMANN
Lutz Hachmeister: „Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik“. DVA, München 2007, 288 Seiten, 16,95 Euro