: Viel Prüm, wenig Brüssel
Der Prümer Vertrag ermöglicht den Datenabgleich von DNA-Proben und Fingerabdrücken in bisher 17 EU-Mitgliedstaaten
Eurodac: Eine im Jahr 2000 eingerichtete zentrale Fingerabdruckdatei aller im Schengenraum einreisenden und sich aufhaltenden Asylbewerber. Dient dazu, Asylshopping und Mehrfachanträge von Bewerbern auszuschließen. Die Polizeibehörden sollen in Fällen von grenzüberschreitender Kriminalität und Terrorismus Zugang erhalten. Zuständig ist der europäische Datenschutzbeauftragte. Europol: Polizeiliche Ermittler tauschen Erkenntnisse aus. Einige Länder haben ihre Polizeicomputer an die Dienststelle in Den Haag angeschlossen, andere nicht. Europol hat einen eigenen Datenschutzbeauftragten. Schengen-Informationssystem SIS: Mitglieder des Schengen-Raums plus Großbritannien füttern Daten über gestohlene Kfz oder gefälschte Pässe in ein gemeinsames Intranet, auf das jeder Ermittler Zugriff hat. Eigener Datenschutzbeauftragter. Visainformationssystem VIS: Die demnächst größte biometrische Datenbank der Welt mit 70 Millionen Fingerabdrücken für sämtliche im Schengenraum gestellten Visaanträge. Die EU-Regierungschefs wollten den Zugang für nationale Ermittlungsbehörden und Europol öffnen. Das Europaparlament setzte durch, dass der Zugang über eine zentrale Stelle kanalisiert wird. Der korrekte Umgang mit den Daten soll durch die geplante Rahmenrichtlinie für Datenschutz geregelt werden. Zollinformationssystem ZIS: Eine Datenbank der Zolldienste der EU-Staaten, die dazu beiträgt, grobe Zuwiderhandlungen gegen nationales Recht durch einen verbesserten Informationsaustausch zu verhindern und aufzudecken.
Zusätzlich geplant sind: FADO: Bildarchivierungssystem, das auf nationaler Ebene eingerichtet werden soll, um gegen die illegale Einwanderung und das organisierte Verbrechen vorzugehen. Es wird den Austausch von Informationen über echte und gefälschte Dokumente ermöglichen. FIDE: Französische Abkürzung (Fichier européen d’identification des dossiers d’enquête) für eine Strafregister-Datenbank, über die derzeit im Ministerrat diskutiert wird. Sie soll den Zollbehörden bei ihren Ermittlungen Zugang zu sicheren Informationen gewähren. DPS
AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER
Vor mehr als vier Wochen ist die kleine Madeleine McCann aus ihrem Bett in einer Ferienanlage in Südportugal spurlos verschwunden. Die Polizei fand inzwischen Spuren einer fremden DNA in dem Apartment. Die Person, zu der der genetische Fingerabdruck gehört, ist unauffindbar. Da es keine Grenzkontrollen mehr gibt, hätte sie zusammen mit dem Kind bis Finnland oder Griechenland reisen können. Das ist die Kehrseite der Reisefreiheit in Europa. Ein Albtraum für Verbrechensopfer und Ermittler.
Deshalb haben sich sieben EU-Staaten vor zwei Jahren im Eifelort Prüm zum sogenannten „Prüm-Vertrag“ zusammengeschlossen, um ihre Fingerabdruck- und DNA-Karteien abzugleichen. Die Idee stammt von Schäubles Vorgänger im Amt, Otto Schily, doch der jetzt amtierende Innenminister griff sie begeistert auf. Da inzwischen 17 Staaten dem Prüm-Vertrag beigetreten sind, soll er in EU-Gemeinschaftsrecht überführt werden. Die 27 Innenminister wollen sich morgen in Luxemburg darauf verständigen.
Ähnlich wie beim Schengen-Abkommen über die Aufhebung der Binnengrenzen hat eine kleine Gruppe von Ländern ihre bilaterale Zusammenarbeit verstärkt und will daraus nun Gemeinschaftsrecht machen. Der Haken: Die EU-Kommission als Initiativinstanz für EU-Gesetze bleibt außen vor und das Europäische Parlament wird nur angehört. Ein Fachmann aus der Kommission, der an einem eigenen Vorschlag zur polizeilichen Zusammenarbeit gearbeitet hatte, nennt das „eine Entartung des europäischen Verfahrens“. Die Prüm-Staaten hätten alles im Hauruckverfahren festgeklopft, um die übrigen vor vollendete Tatsachen zu stellen. „Im Gemeinschaftsverfahren hätte es länger gedauert und wäre nicht so weit gegangen.“
Verbittert stellt der EU-Experte fest: „Der Vorschlag der EU-Kommission wird abgeschossen, weil er angeblich zu stark in nationale Hoheitsrechte eingreift. Ein Jahr später wird bilateral etwas viel Weitergehendes beschlossen – und plötzlich wollen alle mitmachen. Das ist nur Psychologie: Was die Mitgliedsstaaten machen, ist gut. Was Brüssel tut, ist schlecht.“
Da sich im Kreis der 27 Staaten fast nichts mehr bewegt, viele Probleme aber nur auf europäischer Ebene gelöst werden können, wird das Prüm-Verfahren bei der Gesetzgebung wohl Schule machen. Das EU-Parlament, das zunächst den Datenschutz für die Polizeizusammenarbeit geregelt sehen wollte, ist eingeknickt. Da es bei der Verbrechensbekämpfung ohnehin nur angehört wird, machte es gute Miene zum bösen Spiel. Zudem sind die rechtlichen Details enorm kompliziert. Ein Jurist schätzt, dass „allenfalls drei oder vier Abgeordnete noch wissen, worüber da verhandelt wird“.
Als Belohnung hat der Rat der Mitgliedsstaaten dem Parlament versprochen, den Datenschutz für die Polizeizusammenarbeit nun zügig zu regeln. Es sollten die gleichen Standards gelten wie beim Datenschutz im eigentlichen Gemeinschaftsrecht. Doch aus der Kommission sickert durch, die Sache solle „kaputtverhandelt“ werden. Mit 350 Änderungswünschen wolle der Rat den Kommissionsentwurf verwässern.
EU-Datenschutzbeauftragter Peter Hustinx lobt in einer Stellungnahme, dass der Austausch von Namen oder personenbezogenen Daten im Prüm-Vertrag nicht vorgesehen ist. Bei einem Treffer werde das normale Rechtshilfeverfahren in Gang gesetzt. Auch der Datenschutz sei im Prüm-Vertrag „angemessen“.
Aber Hustinx listet auch eine lange Reihe von Fragen auf: Warum ist die geplante dreijährige Testphase, in der die sieben Ursprungsstaaten die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen prüfen sollten, vorzeitig abgebrochen worden? Warum wurden die Standards nicht klar definiert? Während zum Beispiel in Großbritannien mehr als drei Millionen DNA-Profile gespeichert werden, darunter auch von Zeugen, Verdächtigen und ohne Anklage aus der Untersuchungshaft entlassenen Personen, haben andere Länder überhaupt noch kein systematisch aufbereitetes Material.
Nach deutscher Rechtslage, so der Datenschutzbeauftragte, dürften viele der britischen Profile gar nicht verwendet werden. Auch die Speicherdauer sei völlig unterschiedlich – in einigen Mitgliedsländern lebenslänglich, in anderen nur für die Dauer des Verfahrens. Was aber geschieht, wenn ein Land – wie nach dem Prüm-Vertrag möglich – ausdrücklich DNA-Material eines Verdächtigen anfordert, das nach den Gesetzen in dessen Herkunftsland gar nicht gesammelt werden darf? Auskunft über die grenzüberschreitenden polizeilichen Ermittlungen erhält der Betreffende nur auf Anfrage – und dazu muss er erst einmal wissen, dass er ins Visier der Behörden in einem anderen EU-Land geraten ist.
Aufgrund technischer Probleme ist das System bislang nur wenig zum Einsatz gekommen. Deutschland und Österreich aber haben ihre DNA-Datenbanken bereits zweimal abgeglichen und auf Anhieb 3.700 Treffer erzielt, wie der österreichische Biometrie-Spezialist Reinhard Schmid bei einer Anhörung im EU-Parlament berichtete.
Die Eltern der verschwundenen Madeleine McCann haben ganz sicher kein Verständnis dafür, dass nicht alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um den Entführer ihrer Tochter zu finden. Sie können aber ebenfalls nicht wollen, dass ihre Kinder in einem Europa aufwachsen, wo Big Brother seine Bürger bis in den hintersten privaten Winkel durchleuchtet – ohne Kontrolle und ohne angemessenes Einspruchsrecht.