Anwälte sehen Willkür der Polizei bei G 8

Der Republikanische Anwaltsverein kritisiert, die Polizei habe unverhältnismäßig viele Gipfelgegner festgesetzt. Denn die meisten seien von der Polizei gar nicht erst einem Gericht vorgeführt oder spätestens von Richtern freigelassen worden

AUS BERLIN DANIEL SCHULZ

Anwälte wurden geschlagen, Journalisten behindert und Demonstranten zu Unrecht festgehalten. Lang ist die Liste der Vorwürfe, die Anwälte den zum G-8-Gipfel eingesetzten Sicherheitskräften machen. „Rechtsstaatliche Prinzipien wurden oft mit Füßen getreten“, sagte Ulrich von Klinggräf vom Republikanischen Anwaltsverein (RAV) am Montag auf einer Bilanz-Pressekonferenz in Berlin. 90 Prozent aller Ingewahrsamnahmen um Heiligendamm waren nach Schätzungen seiner Organisation unrechtmäßig.

Nach Angaben des anwaltlichen Notdienstes gab es zwischen dem 2. und 7. Juni 1.136 Freiheitsentziehungen in Form von Verhaftungen und Ingewahrsamnahmen. „Wir glauben, dass diese Zahl aus zwei Gründen so hoch ist“, erklärte Klinggräf. „Die meisten Betroffenen wurden entweder wieder freigelassen, bevor sie einem Richter vorgeführt wurden, oder sie wurden später vom Richter wieder auf freien Fuß gesetzt.“ Für die Rechtsanwälte des RAV ist das ein Beleg dafür, dass die Polizei in Rostock unverhältnismäßig und willkürlich gegen Protestler vorgegangen ist.

So seien zwei Globalisierungskritiker allein deswegen in Gewahrsam genommen worden, weil sie sich mit einem Transparent „Free all prisoners“ in der Nähe einer Justizvollzugsanstalt aufgehalten haben. Das sei von den Behörden als Aufruf zur Gefangenenbefreiung gewertet worden. „Das klingt in Berlin vielleicht komisch“, sagte Klinggräf, „aber für die Leute in Rostock war es ernst.“

Des Weiteren beklagten Anwälte des RAV und aus Mecklenburg-Vorpommern die Behinderung ihrer Arbeit vor Ort. Dietmar Sasse, Anwalt aus Berlin, sagte, Polizisten seien ihm gegenüber handgreiflich geworden: „Bei einer Blockade wollte ich den Namen eines Festgenommenen wissen, daraufhin stieß mich ein Polizist quer über das Feld.“ Er habe mit dem Mann nicht mehr sprechen können. Später hätten ihm Polizisten ohne Angaben von Gründen einen Platzverweis erteilt. „Ich wollte natürlich die Dienstnummer dieses Beamten erfahren“, sagte Sasse, „aber er hat nur gesagt 4711 und mich veralbert“.

Ähnliche Arbeitsbehinderungen haben auch Journalisten zu berichten. Vor dem Gipfel verweigerte das Bundespresseamt Kamil Majchrzak von der polnischen Le Monde diplomatique seine Akkreditierung, berichtete er auf der Pressekonferenz. Als er diese dann doch bekam und von einer Blockade berichten wollte, sei er von Polizisten festgenommen worden. „Begründet wurde das damit, dass ich eine Sonnenbrille trug und angeblich das Vermummungsverbot gebrochen hätte“, sagte Majchrzak. „Dabei trug ich meine Akkreditierung mit Foto und Namen um den Hals.“ Später sei er mit Kabelbindern auf dem Rücken gefesselt worden, obwohl er die Beamten davon unterrichtet habe, Invalide zu sein. Der Journalist hatte vor einigen Jahren von Neonazis einen Baseballschläger auf den Kopf bekommen. Durch die Fesselung verlor er das Bewusstsein und wachte im Krankenhaus von Bad Doberan auf.

Die Anwälte des RAV kritisierten zudem noch einmal, dass festgenommene Demonstranten in Käfigen gehalten wurden (siehe taz vom Montag). Noch schlimmer sei, dass Richter des Amtsgerichts Rostock vorher von diesen Verhältnissen Kenntnis gehabt hätten. Weil diese nicht dagegen vorgegangen sind, hat der RAV Strafanzeige gegen die zuständigen Richter erstattet.

Unterdessen verlangte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) eine von Europol geführte Gewalttäterdatei. In die Datei sollten alle aufgenommen werden, die im Bereich von Demonstrationen gewalttätig geworden seien.