Bohrungen in Deutschland

Wenn Markus Rolink von der Bürgerinitiative „Interessengemeinschaft Schönes Lünne“ über die geplante Erdgasförderung in seinem 2 000 Einwohner zählenden Örtchen im Emsland spricht, klingt seine Stimme fast zornig: „Hier sollen giftige, krebserregende Chemikalien in den Boden gepresst werden. Wir befürchten eine Verseuchung unseres Grund- und Trinkwassers. Das wollen wir nicht hinnehmen.“

Mit seiner Kritik zielt der Lehrer auf den US-Ölkonzern ExxonMobil. Der Betreiber der Esso-Tankstellen hat in Lünne eine 1 200 Meter tiefe Bohrung niedergebracht. Wie in vielen Teilen Niedersachsens ist ExxonMobil auch in Lünne auf der Suche nach sogenanntem unkonventionellen Erdgas. Das lagert in Schichten von Schiefergestein und soll bald mit der in Frankreich gerade verbotenen (siehe Text auf Seite 10) Methode des „Hydraulic Fracturing“ gefördert werden.

Diese Methode, kurz Fracking genannt, funktioniert so: Um das sogenannte Schiefergas zu gewinnen, wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien mit hohem Druck von mehr als 1 000 Bar in den Untergrund gepresst. Auf diese Weise sollen tief liegende Schichten von Schiefergestein aufgesprengt werden, damit das zuvor eingeschlossene Gas aufsteigen und an der Erdoberfläche aufgefangen werden kann.

Was Bürgern und Umweltschützern wie Rolink vor allem Sorge macht, ist der Chemikaliencocktail, der beim Fracking zum Einsatz kommt. „Und zwar tonnenweise“, wie Dirk Jansen vom Bund für Umwelt und Naturschutz betont. Nach Angaben von Exxon selbst[1]sind darunter krebserregende Kohlenwasserstoffe wie Benzol oder Tuluol, aber auch Säuren und Pflanzengifte, die etwa verhindern sollen, dass unerwünschte Bakterien die aufgesprengten feinen Risse wieder verstopfen. Doch wenn diese Gifte ins Wasser gelangen, ist das Grundwasser ganzer Regionen gefährdet, warnen Trinkwasserversorger wie die Gelsenwasser AG, die im Ruhrgebiet Millionen Menschen beliefert.

Das Unternehmen hat allen Grund, vor dem Fracking zu warnen. Die Energiekonzerne haben nicht nur Niedersachsen im Blick. Unkonventionelles Erdgas befindet sich auch im Ruhrgebiet, im Rheinland, im Rheintalgraben und in den Sandsteinschichten Süddeutschlands, sagt Bernhard Cramer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Wie viel das ist, untersucht die in der BGR angesiedelte Deutsche Rohstoffagentur. Ergebnisse sollen bis Mitte 2015 vorliegen.[2]

Schon heute hat der steigende Ölpreis, an den der Gaspreis gekoppelt ist, die Energiekonzerne in Goldgräberstimmung versetzt. In Nordrhein-Westfalen haben die Konzerne ihre Claims bereits abgesteckt: Ab 2005 hat die damalige schwarz-gelbe Landesregierung fast 20 Förderfelder mit einer Größe von insgesamt etwa 18 000 Quadratkilometern vergeben (die halbe Fläche von NRW.) Die Namen der beteiligten Unternehmen lesen sich wie ein „Who’s who“ der Energiebranche: Exxon hat sich Ressourcen gesichert, desgleichen Deutschlands größter Mineralölkonzern Wintershall. Dabei sind auch die australische Queensland Gas Company und die mittelständischen Stadtwerke aus dem westfälischen Hamm.

Doch die Gasförderer treffen auf Widerstand. Wie in Lünne gibt es in NRW bereits acht Bürgerinitiativen[3]gegen Fracking. Auch im hessischen Kassel und in Baden-Württemberg regen sich Proteste gegen die befürchtete Umweltverschmutzung. „Die Konzerne nutzen das Fracking immer intensiver, deshalb wird der Widerstand immer größer“, sagt Jörn Krüger von der Interessengemeinschaft Nordwalde im Münsterland. „Pro Bohrung werden immer mehr Fracks eingesetzt. Da werden Millionen Liter in die Erde gedrückt – und wir glauben einfach nicht, dass die Bohrungen immer dicht bleiben werden.“ In NRW reagiert die Politik mittlerweile auf die Bürgerproteste: Der grüne Umweltminister Johannes Remmel will eine Studie über die Gefahren des Frackings in Auftrag geben. Bis die Ergebnisse vorliegen, versichert eine Sprecherin von SPD-Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger, „wird in NRW nicht gefrackt“.

In Niedersachsen dagegen hält das Landesamt für Bergbau das Fracking für vertretbar – schließlich werde in Norddeutschland bereits seit 1977 Erdgas gefördert. Zur Frage der Sicherheit verweist das Amt ausgerechnet auf die Environmental Protection Agency (EPA) der USA. Doch die hat die Gefahren des Frackings bisher lediglich bei der Gasförderung aus Kohleschichten, nicht aber in porösen Schieferformationen abschließend bewertet. Aufgeschreckt durch Berichte über verseuchtes Trinkwasser und Gas aus Wasserhähnen, hat die Agentur erst in diesem Frühjahr eine großangelegte Studie[4]zum Fracking in porösem Schiefer in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse stehen natürlich noch aus.

Auch Mineralölkonzerne wie Exxon wiegeln ab. Zwar räumt man ein, dass die Frackflüssigkeit „gefährliche“, „giftige“, „gesundheitsgefährdende“ und „umweltgefährdende“ Chemikalien enthält. Aber Exxon-Sprecherin Rita Westendorf-Lahouse versucht die Befürchtungen über eine Gefährdung der Umwelt oder der Bevölkerung zu zerstreuen: Das Gemisch sei hochverdünnt und deshalb „weder giftig noch umweltgefährdend“. Die Betroffenen aber lassen sich nicht beschwichtigen: „Was Exxon vorhat, mag in Niedersachsen legal sein“, sagt etwa Markus Rolink aus Lünne. „Aber gesellschaftlich akzeptiert ist es noch lange nicht.“

Andreas Wyputta

Fußnoten:

www.erdgassuche-in-deutschland.de/erdgas/hydraulic_fracturing/eingesetzte_materialien.html.

2www.bgr.bund.de/DE/Themen/Energie/Projekte/laufend/NIKO.html.

3www.gegen-gasbohren.de/.

4www.epa.gov/hydraulicfracturing.

© Le Monde diplomatique, Berlin