piwik no script img

Archiv-Artikel

„Jede neue Heizform rührt an Urängste“

PASSIVHÄUSER Wie sich Menschen auf neue Technologien des Heizens und Wohnens einstellen, erforscht die Hamburger Soziologin Johanna Matzat

Johanna Matzat

■ 31, ist Soziologin an der Uni Hamburg. Sie forscht zum menschlichen Umgang mit dem Klimawandel. In ihrer Doktorarbeit beschäftigt sie sich mit Energiekonsum in Haushalten.

INTERVIEW EVA THÖNE

taz: Frau Matzat, warum interessieren Sie sich für Passivhäuser, also Häuser, die sich energetisch weitgehend selbst versorgen?

Johanna Matzat: Ich forsche zum Zusammenhang von Alltagshandlungen und Klimawandel, und zwar auf Ebene der Privathaushalte. Am meisten CO2 produzieren wir Menschen in Industrieländern durch das Heizen. Passivhäuser hingegen sind in der Regel viel umweltschonender, weil keine Heizungen nötig sind. Die Temperatur reguliert sich durch gute Dämmung und Lüftungsanlagen zur Wärmerückgewinnung selbst. Gleichzeitig müssen sich die Bewohner aber umstellen.

Inwiefern?

Jeder Mensch greift im Alltag auf unbewusste Routinen zurück, um Kälte und Wärme zu regulieren: Heizung aufdrehen, Strickjacke anziehen und so weiter. Wenn ich in ein Passivhaus umziehe, müssen diese Routinen ersetzt werden – die Heizung muss gar nicht mehr aufgedreht werden, ich muss mich daran gewöhnen, dass in jedem Wohnraum die gleiche Temperatur herrscht. Oder damit umgehen, dass ich von der Außenwelt weniger mitbekomme, weil die Wände durch die Dämmung viel undurchlässiger sind. Prinzipiell rührt jede neue Heizform an Urängste des Menschen.

Warum an den Urängsten?

Wärme und Kälte haben unglaublich viel Einfluss auf uns, körperlich und psychisch. Das Gefühl, zu frieren, liegt nahe an der Angst, zu erfrieren. Und noch heute assoziieren wir etwa offenes Feuer am Kamin mit Behaglichkeit und Wohlbefinden. Weil wir da noch ganz urtümlich die Temperatur fühlen und sie auch unmittelbar beeinflussen können. Bei etwas so Wichtigem wie Wärme stellen sich Menschen nicht gerne um. Außerdem herrscht bei vielen eine Unsicherheit darüber, ob das Leben im Passivhaus wirklich besser wird.

Ist diese Unsicherheit berechtigt?

Manchmal schon. Im Bereich der Energie kommen ja ständig Innovationen auf den Markt, Technologien werden permanent verbessert, andere stellen sich als fehlerhaft heraus. Für meine Studien habe ich zum Beispiel mit Leuten gesprochen, die sich selbst zu den Passivhaus-Pionieren zählen, sich also einen Architekten suchten und selbst bauten. Viele kamen sich wie Versuchskaninchen vor. Ein nicht gerade angenehmes Gefühl. Häufig wurde eine unkomplizierte Technik angekündigt. Tatsächlich taten sich neue Probleme auf.

Nämlich?

Bei Passivhäusern wird ja häufig versprochen, dass die Mehrkosten beim Bau auf lange Sicht durch geringe oder gar keine Heizkosten ausgeglichen werden. Oftmals kommen aber auch die Wartung der technischen Anlage neue Ausgaben hinzu. Vor ein paar Jahren wurde auch noch häufig hoch entflammbares und umweltschädliches Styropor als Dämmmaterial verbaut.

Wie lassen sich Menschen denn von der Passivhaus-Technologie überzeugen?

Ich bin für eine einfühlsame Herangehensweise, die dem Mensch genug Zeit gibt, um sich auf den Wandel einzustellen. In der Ingenieurs- und Entwicklerkultur findet sich häufig die Haltung, dass es für jedes komplexe Problem eine einfache Lösung gibt – dank der Wunderwaffe Technik. Diese Deutung berücksichtigt aber zu wenig die Perspektive der Betroffenen.

Inwiefern?

Viele Leute ziehen nicht freiwillig in ein Passivhaus. Diese werden ja noch immer häufig als Pilotprojekte von Energieversorgern und Baugenossenschaften gebaut. Da ist es dann besonders wichtig, die künftigen Bewohner einzubeziehen. Nicht nur durch Informationen, sondern auch durch Erfahrungsangebote, also etwa begehbare Musterhäuser. Und: Ich würde nie an die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Umwelt appellieren.

Warum lehnen Sie eine moralische Argumentation ab?

Durch die Atomenergie wurde lange vermittelt, dass die Energie ohne Probleme und für immer aus der Steckdose kommt. Dass wir uns Gedanken über Energiekonsum machen, ist ja relativ neu. Und wird von vielen als lästig empfunden, weil sie plötzlich zur Reflexion von etwas aufgefordert sind, was lange selbstverständlich war. Da mit Moral zu kommen, kann eher zur Abwehr führen – obwohl auf einem abstrakten Level fast jeder Mensch einem umweltschonenden Lebensstil zustimmen würde.

Seit einigen Jahren gibt es ja den Begriff „Lohas“ für eine Bevölkerungsgruppe, die nachhaltigen Lebensstil für hip erklärt. Wird nicht gerade dieses ökologische Gewissen seit einiger Zeit wiederentdeckt?

Das ist aber nur ein sehr kleines soziales Milieu. Für die hat ein Passivhaus vielleicht auch einen ideologischen Wert. Und wird dann als Ausdruck eines Lebensgefühls auch zu demonstrativen Zwecken gebaut. An der Lebensrealität der meisten Menschen geht diese Haltung aber vorbei. Bei vielen lässt sich Energiekonsum als eine sogenannte unscheinbare Form des Konsums einstufen. Wer geht denn schon mit seiner Heizrechnung protzen? Man heizt, weil man es behaglich haben will, oder weil Besuch kommt. Und viele sind ja nach wie vor froh, wenn sie ein Dach über dem Kopf und eine Heizung zum an- und ausstellen haben.

Wohnen Sie selbst auch in einem Passivhaus?

Nein, ich lebe im Altbau. Gerade wird zwar eine Wand gedämmt. Gefrorenes Wasser in den Toiletten und Eisblumen an den Fenstern habe ich aber auch schon erlebt. Da wünsche ich mir auch manchmal, in einem Passivhaus zu leben.