Sonic Youth etc.
: Flüchtige Antworten

Okay, das hat von Anfang an nach Monument geschrien. Dieses Doppelalbum, das man sich als Vinyl-Altar aufstellen konnte. Darauf der Kerzensolitär von Gerhard Richter. Darin diese vierzehn Songs, Rockgeschichte von Joni Mitchell bis ZZ Top abschreitend, erweiternd. Als Sonic Youth 1988 ihr Album „Daydream Nation“ veröffentlichten, war klar, dass hier jemand Großes vorhatte – und es auch vollbrachte. Aber als im Frühling 2007 die Nachricht durchdrang, dass die New Yorker Band ihr Epos auf ausgewählten Konzerten in voller Länge und exakter Reihenfolge nachspielen würde, wollte man es doch nicht so recht glauben: Sonic Youth zitieren, ja kanonisieren sich selbst? Die Ewig-und-Über-Hipster, die allen zeigen, wie man alt wird und cool bleibt? Doch tatsächlich spielen Sonic Youth „Daydream Nation“ nach – am 21. Juni auf dem Tollwood-Festival in München, am 27. Juni in Berlin in der Columbiahalle. Dazwischen erscheint eine so genannte „De luxe“-Edition des Albums mit den Original-Songs, ihren Live-Versionen sowie vier Cover-Songs.

Ein zweiter Blick auf das Plattencover enthüllt aber auch diese Performances als Teil des „Daydream Nation“-Projekts: Gerhard Richters Kerze ist ein von einem Foto abgemaltes Ölgemälde, das für die Platte wieder abfotografiert wurde. Analog dazu lässt sich auch die Wiederaufführung und Veröffentlichung der Musik verstehen: Die Band erforscht die Reproduzierbarkeit ihrer Songs, unter veränderten technischen und historischen Bedingungen. Was man sonst als Fan zu Hause vor dem Plattenspieler oder unterwegs mit dem MP3-Player, beim Erstkontakt oder x-tem Hören erlebt, vollziehen Sonic Youth für sich selbst und als öffentlichen Prozess.

Ob dabei jenseits von Fankreisen Anwesenheitspflicht herrscht, ist eine andere Frage. Was sich beim Wiederhören von sowohl „Daydream Nation“ als auch den Folge-Alben nämlich einstellt, ist die Erkenntnis, dass sich Sonic Youth’ Musik kaum verändert hat. Bis auf die Phase Anfang der 1990er, als der Zeitgeist in Person von Chuck D und Spike Jones seine Auftritte in Songs und Videos hatte, haben sich die Lieder gegen zeitgenössische Einflüsse weitgehend abgeschottet. Was sich kontinuierlich verändert hat, ist der Kontext, in dem sie auftraten. Sonic Youth während Grunge, zur Techno-Hochphase, jetzt in der abschwellenden Post-Punk-Zeit: die Einschätzungen, wie ertragreich Art-Rock ist und wie emanzipatorisch das Band-Konzept, hat sich über die Jahre immer wieder grundlegend geändert – wenn man denn diese Fragen an die Band hat. Wer sie hat, wird auf den zwei Deutschland-Konzerten neue Antworten bekommen. Natürlich nur vorübergehende.

HANNAH PILARCZYK