: Die Einzelgänger
SZENE Viele Künstler der DDR wählten die Zeichnung als Format für ihre Arbeit: Zeichnungen sind billig herzustellen und leicht zu verstecken. Wie sie aussahen, zeigt die Ausstellung „Zeichnung Ost“
Ist es sinnvoll, Kunst nach regionalen Aspekten zu sortieren? So, wie man es bei Wein oder Käse tut? Was verbindet Künstler, die in derselben Region gelebt und gearbeitet haben, miteinander? Verbindet sie überhaupt etwas Signifikantes? Was soll eine Ausstellung mit dem Titel „Zeichnung Ost“, wie sie derzeit im Sprengel-Museum Hannover gezeigt wird?
Tatsächlich sind die Arbeiten der hier versammelten Zeichner, die einen mehr oder weniger großen Teil ihres Lebens in der Deutschen Demokratischen Republik verbracht haben, sehr unterschiedlich. Sowohl psychologische Bleistift-Portraits als auch Akte in Kohle, späte expressionistische Aquarelle und krakelig-infantile Tuschezeichnungen sind in der Ausstellung zu sehen.
Rund die Hälfte dieser Künstler ist nicht mehr am Leben. Geboren wurden sie zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Staaten: im Kaiserreich, der Weimarer Republik, im nationalsozialistischen Deutschland und schließlich auch in der DDR. Gemeinsam haben sie alle, dass sie einen größeren Teil ihres Lebens in der DDR verbracht haben: Aktiv als Künstler erlebten sie alle mindestens die 1970er und 1980er-Jahre. Dieser Zeit und diesem regionalen, staatlichen und politischen Rahmen verdanken sie einen Teil ihrer künstlerischen Entwicklung. Die Ausstellung ähnelt dem Portrait einer „Szene“, deren Mitglieder vielleicht nie mit einander in Kontakt gekommen waren.
Unterschiedliche gesellschaftliche Situationen befördern unterschiedliche Kunstformen. In Berlin war es nach dem ersten Weltkrieg eine Weile lang der Holzschnitt. Man mochte das sinnstiftende Mittelalter und hatte keine Materialien. Das ist keine notwendige Entwicklung, aber eine nachvollziehbare.
Zeichnung indes war in den 1970er und 1980er-Jahren der DDR ein überaus wichtiges Mittel künstlerischer Arbeit: Papier, Kohle und Bleistift sind in einer ökonomisch angeschlagenen Gesellschaft leichter zu bekommen als beispielsweise Ölfarbe und Leinwand. In repressiven Gesellschaften ist es darüber hinaus natürlich praktisch, wenn Kunstwerke leicht zu transportieren und auch leicht zu verstecken sind.
Die Ausstellung zeigt Arbeiten, die das Sprengel-Museum mit Hilfe der Fama-Kunststiftung seit 2007 zu einer eigenen Sammlung zusammengetragen hat. Gemeinsam haben alle Künstler, dass sie weitgehend unbekannt geblieben sind, keine der großen staatstragenden Künstler wie Willi Sitte also – aber auch keine großen Oppositionellen wie A.R. Penck oder Robert Rehfeld.
Der bekannteste Künstler hier ist wohl Gerhard Altenbourg. Der 1926 geborene und 1989 gestorbene Zeichner und Grafiker zeigte bereits auf der Documenta 59 seine Arbeiten. In der DDR hingegen war er mit einem Ausstellungsverbot belegt.
Von ihm ist in Hannover eine große horizontale Zeichnung zu sehen. Verwendet hat Altenbourg hier so unterschiedliche Materialien wie Bleistift, Tusche und Kreide. Auf dem Blatt sind übereinander gelegte Linien zu sehen, wie auf einem Wellenmessgerät. Die Zeichnung wirkt wie ein Gebirgszug, der nicht vor dem äußeren, sondern einem „inneren Auge“ sich erstreckt. Für die äußere Wirklichkeit hatte Gerhard Altenbourg wenig Interesse.
Ebenso abstrakt sind die Arbeiten von Hermann Glöckner, der bis 1987 in Berlin lebte. Glöckner verwandte feste Materialien wie Karton. Auf diese Weise entstehen sehr plastische Arbeiten. Ein Werk von 1957 ist auf grobem und gitterförmig zerfurchtem Karton entstanden. Darüber nimmt ein Knäuel aus schwarzer Farbe seinen Ausgang und verläuft sich in Linien nach rechts. Auch hier keinerlei Realismus, obwohl der eine große Rolle spielte im Kunstbetrieb der DDR – und so auch den größeren Teil in der Hannoveraner Sammlungsausstellung ausmacht. RADEK KROLCZYK
bis 2. Januar, Sprengel-Museum, Hannover