Gib mir die Kugel!

Beim Boule kommt es auf die Konzentration an – die stellten die TeilnehmerInnen der Deutschen Pétanque-Meisterschaften in Kreuzberg unter Beweis. Die Organisatoren kämpfen mit dem Turnier auch gegen das behäbige Klischeebild dieser Sportart

VON JOHANNES KOPP

Es war fast wie im Zirkus – nur der Trommelwirbel fehlte. Aufgrund der Spielsituation wusste das Berliner Publikum bei der Partie Bayern 8 gegen Nordrhein-Westfalen 8 genau, welches Kunststück vom Münchner Daniel Vollbracht gefordert war. Der Boule-Spieler musste aus etwa acht Metern Entfernung mit seiner Metallkugel die des Gegners von der Zielkugel wegschießen. Vollbracht nahm Maß, die Kugel flog und traf millimetergenau auf die angepeilte Stelle. Ein Raunen ging durch die Reihen der 200 Zuschauer. Dann folgte respektvolles Klatschen.

Am Wochenende fand in Kreuzberg die Deutschen Pétanque-Meisterschaften statt. Insgesamt 128 Teams duellierten sich in der Königsdisziplin Triplette (drei gegen drei). Und immer wieder war dieses Staunen über die hohe Präzision der unzähligen Würfe zu vernehmen. Pétanque ist die weltweit bekannteste Variante des Boulé-Spiels. In den vergangenen Jahren wurde sie auch in Deutschland immer beliebter.

Doch vor Publikum zu spielen, das sind hierzulande selbst die besten Boulisten nicht gewöhnt. Für Daniel Vollbracht war es eine zweischneidige Erfahrung. „Einerseits pusht dich das, andererseits nimmt es dir ein wenig die Kraft und erschwert die Konzentration“, sagte er nach der 10:13-Niederlage gegen NRW 8. Seine beiden Mitspieler empfanden das Zuschauerinteresse dagegen ausschließlich als anspornend.

In der Vergangenheit wurden die Pétanque-Meisterschaften meist auf abgelegenen Vereinsgeländen ausgetragen. In diesem Jahr hat sich der Deutsche Pétanque-Verband für Berlin entschieden. „Wir wollen in die Öffentlichkeit, um für unseren Sport zu werben“, erklärte Vizepräsident Alexander Bauer.

Beim gastgebenden Verein, dem 1. Boule Club Kreuzberg, musste man für dieses Vorhaben reichlich improvisieren. Weil die idyllische, von Kastanienbäumen umgebene Boule-Anlage am Landwehrkanal nicht genügen Platz für ein solches Turnier bot, erwirkte man die Sperrung einer angrenzenden Straße und ließ diese mit kleinen Steinchen bestreuen. Hier entstanden 32 der 64 Spielfelder. Die Anwohnerschaft stand dem ungewöhnlichen Ereignis vor ihrer Haustür in der Mehrheit aufgeschlossen gegenüber. Dem Vernehmen nach gab es nur einen Protestwerfer, der rohe Eier auf die Spielfelder schmiss.

Dass die rechteckigen Spielfelder aus Platzmangel notgedrungen ohne Zwischenräume angelegt waren, störte auch den deutschen Pétanque-Bundestrainer Daniel Voisin nicht. Er befand sogar, das sei eine nützliche mentale Übung. Der Franzose Voisin erläuterte: „Wer sich bei der Dichte der herumfliegenden Kugeln auf sein eigenes Spiel konzentrieren kann, ist wirklich gut.“ Mentale Stärke ist beim Pétanque von besonderer Bedeutung. Im Spitzenbereich entscheidet sie meist über Sieg und Niederlage.

In Berlin attestierte der frühere Weltklasse-Boulespieler Voisin den Deutschen, dass sie in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hätten. Die Etablierung von Boule als Breitensport wirkt sich auch auf das Niveau der Leistungsstärksten aus. Es kämen immer mehr Junge nach, die mit den Besten mithalten könnten, erklärte Voisin.

Auffällig ist in Deutschland die ungleiche Verteilung der Boulesportler. In Kreuzberg stellte am Wochenende der Landesverband Baden-Württemberg gut ein Drittel aller Teams (45). Aus den ostdeutschen Bundesländern kamen hingegen nur sieben Mannschaften. Alle Teilnehmer mussten sich in harten Vorausscheidungsturnieren für die Deutsche Meisterschaft qualifizieren.

Mit dem Klischeebild des gemütlichen, Pastis trinkenden Boulespielers hatten die Meisterschaften aber rein gar nichts zu tun. Im Gegenteil: Die Anspannung stand jedem Teilnehmer ins Gesicht geschrieben. Sie hätte kaum größer sein können. Genau das ist es auch, was die Pétanque-Funktionäre der Öffentlichkeit vermitteln wollen. Ihnen ist es ein großes Anliegen, dass man Pétanque als Leistungssport ernst nimmt. Nur so habe man auch eine Chance, beispielsweise an Fördergelder des Bundesinnenministeriums heranzukommen. Deshalb hat der Verband den Beschluss gefasst, sich künftig den Kontrollen der Nationalen Anti Doping Agentur zu unterstellen. Bei den deutschen Meisterschaften im nächsten Jahr, kündigte Vizepräsident Bauer an, wird es schon Dopingkontrollen geben.