EROTISCH ÖDES LAND : Zelt in Stiefeln
Die Eisdiele ist am Wochenende ein Auffanglager für eine ganze Armee zermürbter Eltern, die ihren Kindern in Form von Eis ihren Tribut zollen. Ich sitze auf einer Bank und neben mir ist Fup in sein Eis vertieft. Ich beobachte trantütig einen Mann um die 50 mit langen angegrauten Haaren und großem grauem Bart und Unterschichtstrainingsanzug. Ein bisschen aus dem letzten Jahrhundert, denke ich, sowohl ästhetisch als auch inhaltlich, denn er gibt breitbeinig laute Mach-dies-mach-das-Anweisungen an seine Frau, die sich hinter mir befindet und ihren Kindern hinterherrennt. Ich bin so vertieft in den Anblick, dass ich mich gar nicht nach dem herumgescheuchten Objekt umsehe. Wahrscheinlich verdichten sich meine Gedanken gerade zu so was wie: Da muss die Frauenbewegung aber noch nachbessern.
Dann schiebt sich das herumgescheuchte Objekt in mein Blickfeld. Ich denke, der Mann hat jetzt aber auch nicht wirklich das große Los gezogen. Mir fällt ein kleiner Reim von FW Bernstein ein: „Zwischen Hosensaum und Sockenrand herrscht erotisch ödes Land.“ Natürlich trägt die Frau weder das eine noch das andere, sondern irgendetwas Zeltartiges, wobei der über die Knie reichende Saum ausgestanzte und mit Metall eingefasste Ösen aufweist wie bei einem Seesack oder einem Ikea-Vorhang, und außerdem stecken ihre Waden, für die man ganz tief unten in Bayern auf die Knie gehen würde, in halbhohen gefütterten Wildlederstiefeletten, aber dazwischen … da muss ich jetzt Herrn Bernstein recht geben. Ich kann meinen Blick gar nicht losreißen von diesen Klamotten mit Mut zum Flüchtlingsoutfit von 1945. Ein schwerer Rückschlag für die Gentrifizierung, denke ich. Nadja zischelt mir zu: „Das ist die Holofernes. Die von Wir sind Helden. Mein Gott, was ein Visagist so alles rausreißen kann. Hätte sie fast nicht erkannt.“ „Hä“, sage ich, „wer?“ KLAUS BITTERMANN