Pelztier-Performance
ZEITALTER DES BILDES Die Collage „Visuelle Migrationen – Bilder in Bewegung“ widmet sich der Frage nach der weiblichen postkolonialen Identität
Auch ohne Medium Buch oder vortragendes Subjekt besitzt Theorie eine Aura
Bilder zeigen immer „zu wenig oder zu viel“, glaubt die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen. Dieser These begegnet man in der Ausstellung „Visuelle Migrationen – Bilder in Bewegung“ als kritische Einordnung der gegenwärtigen bildtrunkenen Kultur. An den Wänden des LEAP/Berlin Carree, in einer derzeit ungenutzten Einkaufspassage direkt unter dem Fernsehturm am Alexanderplatz, werden aus dem Internet gefischte Fotos, Grafiken, Kunstwerke und Symbole gezeigt und mit Texten einer Vielzahl von Autoren kommentiert.
Die Ausstellung ist das Ergebnis eines Joint Ventures zwischen der jungen Kunst-&-Theorie-Gruppe Eurozentrika und FKW/Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur. Wie die Herausgeberinnen des Magazins interessieren sich auch die Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen von Eurozentrika für visuelle Repräsentations- und Machtstrategien in postkolonialen Zeiten. Sie stellen die Existenz einer „europäischen Identität“ in Frage. Am Samstag traf man sich zur Vernissage der gemeinsamen Ausstellung und einer „open platform“.
Hier konnte man ein Bild von Lady Gaga betrachten, die auf dem Cover des Rolling Stone mit einem aus zwei Maschinengewehren zusammengebastelten Pussy-Galore-BH posiert. Daneben hing das Bild eines Terroristen mit Gewehr, in der Hand den Koran hochhaltend. Wieder daneben Alice Schwarzer, die stolz eine Jubiläumsausgabe von Emma zeigt. Ebenfalls ausgestellt: ein Textfragment aus Wikipedia, das die „Hülle“ zum Thema hat. Der Effekt, den diese Zusammenstellung bewirken soll, liegt auf der Hand – das Ausstellen von aus dem Zusammenhang gerissenen und in einen neuen geschmissenen Bildern soll nicht nur amüsieren, sondern auch neue Erkenntnisse schaffen.
Das Prinzip der Ausstellung – von eigens für die Schau produzierten Arbeiten noch verkompliziert – liegt darin, dass die Besucher ihre eigenen Assoziationen mit dem von Eurozentrika geschaffenen Bildraum verweben. Die Collage ist also nur ein „Vorschlag“ der Kuratorinnen, wenn man so will. Zwei Prämissen liegen der Ausstellung zugrunde: einerseits die Vorstellung, dass sich das Subjekt in einem Prozess der „Autofiktion“ immer wieder neu erfindet, und andererseits der Gedanke, dass die Pose heutzutage die Identität ersetzt hat.
Im Wissen, dass man unter denselben Bedingungen lebt, die man analysiert, haben die Frauen von Eurozentrika den visuellen Fundstücken, die das Spannungsfeld zwischen Selbst und Anderen zeigen sollen, Theoriefragmente über die Wirkungsweisen von Bildern zur Seite gestellt. Die Brüche und Widersprüche der Idee einer europäischen Identität und deren Wahrheits- und Machtansprüche treten am deutlichsten auf, wenn sich die Semantik des Bildraumes durch die des Textes verschiebt, glaubt Mascha Jacobs von Eurozentrika. In dem Experiment, Theorie quasi performen zu lassen, steckt auch eine Herausforderung. Auch ohne das Medium Buch oder das vortragende Subjekt besitzt Theorie, genau wie Kunst, eine Aura. Dem popkulturellen Gebot der Dehierarchisierung folgend, hängen im LEAP neben Hölderlin – „Aber das Eigene muss so gut gelernt sein wie das Fremde“ – Songtexte des Popmusikers Gonzales: „I am Europe“.
Einen schönen Kontrast zur Bild-Text-Collage gab es auch noch. Vania Rovisco, Teil des Performance-Kollektiv AADK, zog sich zur Vernissage nackt aus und machte eine halbe Stunde nichts anderes, als den Oberkörper auf und ab zu wiegen und Wasser zu lassen. Krass-schöne Körperlichkeit in Gestalt einer Pelztier-Performance als Antithese zu den in den Medien kursierenden übercodierten Bildern von Weiblichkeit. NADJA GEER
■ Bis 15. Juli im LEAP/Berlin Carree, Karl-Liebknecht-Straße 13. Am Donnerstag, den 14. 7., 19 Uhr zeigen Moira Zoitl, Sophie Hamacher und Azin Feizabadi ihre Filme„Fliehkraft“, „Der Nebel“ und „Time, Space, Karbala“