: „Ein Who-is-Who der Gelehrten“
Die Unesco hat den Briefewechsel des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz zum Weltdokumentenerbe erklärt. Aufbewahrt und editiert werden diese rund 15.000 Briefe in der Leibniz-Bibliothek in Hannover
GEORG RUPPELT, 59, ist seit 2002 Direktor der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover.
INTERVIEW: KLAUS IRLER
taz: Herr Ruppelt, es hilft nichts, der Gelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz hat einen berühmten Namensvetter, nämlich den Leibniz-Keks. Klären Sie uns auf: Worin besteht die Verbindung?
Georg Ruppelt: Der Großbäcker Hermann Bahlsen war ein großer Patriot und ein Freund der Philosophie. Er hat 1892 den Leibniz-Keks kreiert. Es war damals üblich, bekannte Namen zu nehmen, um damit auf seine Produkte aufmerksam zu machen und ihnen einen gewissen Wert zuzuschreiben. Sie kennen den Bismarckhering, die Schillerlocke und die Mozartkugel. Darüber kann man lächeln, nur sollte es nicht so sein, dass Leibniz von vielen nur noch mit einer Backware verbunden wird. Leibniz können sie für alles mögliche als Grundlage nehmen, aber ganz sicher nicht für einen Keks.
Ausgezeichnet von der Unesco wurde der Leibniz-Briefwechsel, bestehend aus rund 15.000 Briefen. Wem hat er die geschickt?
Vor allem den Gelehrten, aber auch einige Fürsten und Potentaten seiner Zeit. Er hatte insgesamt 1.100 Briefpartner. Man muss sich vorstellen, dass diese Korrespondenz ein Who-is-Who der Gelehrten seiner Zeit war. Gelehrte aus China, Russland, Afrika und ganz Europa. Diese Korrespondenz ist eigentlich das Werk von Leibniz: Er hat einmal gesagt, wer nur mein Oeuvre kennt, kennt mich nicht.
Worum geht es in den Briefen?
Leibniz hat als echter Universalgelehrter seiner Zeit alle Gebiete behandelt, ob Sie Philosophie nehmen, die Mathematik oder die Theologie. Oder auch die angewandte Naturwissenschaft: Sein großes Thema war, dass Theorie und Praxis zusammengehen müssen.
Wenn Leibniz an andere Gelehrte schreibt, denkt man sich, sind die Briefe erst mal außer Landes. Wie kam dann Ihre Sammlung zustande?
Er hat für alle Briefe Entwürfe gemacht. Wir haben die Entwürfe hier und die einkommenden Briefe und wir haben im Laufe der Jahrzehnte auch einige der Originale zurückgekauft. Wobei die inhaltlich dann nicht mehr überraschend waren, weil wir ja die Entwürfe haben, die ziemlich genau den abgeschickten Briefen entsprechen. Das ist das Besondere an diesem Nachlass.
Pro Brief erst ein Entwurf: Das klingt nach viel Arbeit.
Ja, er hat auch offensichtlich sehr schnell geschrieben. Und er hat eine fürchterliche Handschrift gehabt und unsere zwölf Editoren hier im Haus haben meine tiefste Bewunderung dafür, wie sie in der Lage sind, dies alles zu lesen, und zwar meistens auf Französisch und Latein.
Wandelt sich Hannover nach dieser Auszeichnung nun von der Expo- zur Leibnizstadt?
Das Unesco-Register des Weltdokumentenerbes würdigt herausragende dokumentarische Zeugnisse als Teil des Gedächtnisses der Menschheit. Wertvolle Buchbestände und andere Schriften sollen gesichert und auf neuen informationstechnischen Wegen weltweit zugänglich gemacht werden. Der Briefwechsel des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) stellt nach Angaben der deutschen Unesco- Kommission in Bonn ein einzigartiges Zeugnis der europäischen Gelehrtenrepublik im Übergang vom Barock zur frühen Aufklärung dar. Die Bedeutung der Korrespondenz liege in ihrem weltumspannenden Themenspektrum. Sie spiegele das Hineinwachsen Russlands nach Europa in der Zeit Zar Peters I. ebenso wie den Kulturaustausch mit China wider. Der Briefwechsel stelle ein Gründungsdokument der europäischen Moderne dar und markiere einen Wendepunkt in der Entwicklung von Technik und Denken der Zeit. Zugleich stehe er für die Suche nach der Verbindung westlicher Wissenschaft mit fernöstlicher Denkweise. KLI
Das würde ich mir wünschen. Seitdem ich hier bin versuche ich, auch über die Wissenschaft hinaus Leibniz zu kommunizieren. Leibniz ist jemand, den man ebenso sehen könnte wie Bach in Leipzig oder Goethe und Schiller in Weimar. Leibniz hat die meiste Zeit seines Lebens in Hannover verbracht. Von hier aus ist die Korrespondenz in die ganze Welt gegangen. Von daher war Hannover durchaus eine Metropole des Barock: Mit Leibniz war im Grunde der Vordenker der Moderne in Hannover.
Was müsste passieren, um Hannover als Leibniz-Stadt zu positionieren?
Das, was Hannover an Leibniz hat, müsste noch weiter in das Bewusstsein von Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit dringen. Man darf auch nicht vergessen: Leibniz ist der Erfinder des Binärcodes. Und dieser Binärcode, das 0-1-Prinzip, ist die Grundlage für die moderne Rechentechnik. Insofern können sie natürlich auch eine Verbindung zur heutigen CeBit ziehen. Ich sage nicht, dass Leibniz der Vater der Computer ist, das wäre zu weit gegriffen. Aber die Art des binären Rechnens ist seine Idee gewesen.
Konkret gesprochen: Was möchten Sie tun, um Leibniz noch populärer zu machen?
Ich möchte gerne ein Leibniz-Forum aufbauen, wir brauchen dringend eine räumliche Erweiterung unserer Bibliothek beziehungsweise eine Dependance in der Stadt. Dort könnte man Leibniz noch ganz anders kommunizieren. Außerdem wollen wir Leibniz weiter in die digitalisierte Welt tragen, wir wollen noch mehr Briefe scannen, so dass man nach und nach weltweit einen Zugriff auf unsere Sammlung hat.