: Integration erschwert
BLEIBERECHT Bei „guter Integration“ wird in Bremen jungen MigrantInnen seit Monaten eine Aufenthaltserlaubnis gewährt. Ein Bundesgesetz verschlechtert nun die Regelung
Udo Casper vom „IntegrationsNetz“
von JEAN-PHILIPP BAECK
Zittern, alle paar Monate, ob die „Duldung“ verlängert wird. Bedroht von der Abschiebung in ein Land, das man gar nicht kennt. Seit dem ersten Juli kann das nur „geduldete“ Leben für Kinder und Jugendliche, die in Deutschland zur Schule gegangen und hier zu Hause sind, ein Ende haben. Der neue Paragraph „25a“ des vom Bundestag beschlossenen Aufenthaltsgesetzes ermöglicht es den Ausländerbehörden, bei „guter Integration“ einen Aufenthaltsstatus in Deutschland zu gewähren. In Bremen allerdings regelte dies ein Erlass des Innensenators bereits seit September 2010 – unter wesentlich besseren Bedingungen für heranwachsende AntragsstellerInnen.
„Aus humanitären Gründen“ können geduldete MigtrantInnen eine Aufenthaltserlaubnis in Bremen beantragen, wenn sie „sozial und wirtschaftlich integriert“ sind und dadurch eine „starke Verwurzelung im Bundesgebiet“ besteht. Für Kinder hieß das: Der Nachweis eines vierjährigen Schulbesuchs in Deutschland, Sprachkenntnisse und Straffreiheit konnte die Zeit der Duldung beenden. „Im Bremer Erlass war einiger Spielraum, viele Einschränkungen tauchten nicht auf“, so Udo Casper vom „Bremer und Bremerhavener IntegrationsNetz“. Für Kinder und Jugendliche gilt nun das striktere Bundesgesetz. Casper befürchtet, dass dadurch weniger von ihnen das Leben mit einer Duldung hinter sich lassen können: „Rausfallen werden beispielsweise unbegleitete Minderjährige. Sie waren bei der Einreise nach Deutschland meistens älter als 14 Jahre.“ Das Bundesgesetz schließt sie aus, der Bremer Erlass kannte keinerlei Altersbegrenzung.
Die Zeit des geforderten Schulbesuchs beträgt im Bundesgesetz sechs Jahre, im Erlass des Innensenators Ulrich Mäurer (SPD) waren es nur vier. Eltern konnten in Bremen für ihr zehnjähriges Kind einen Antrag stellen, weil es vier Jahre in der Schule war. Das Bundesgesetz aber betrifft nur Anträge von 15 bis 21-Jährigen. Daher ist die Offenheit des Mäurer-Erlasses von Flüchtlingsverbänden als fortschrittlich aufgenommen worden, so Casper.
Eine „Duldung“ bescheinigt nicht mehr, als dass eine Abschiebung zur Zeit „ausgesetzt“ ist, etwa weil ein Flüchtling zu krank ist, um einen Flug zu überstehen oder weil kein Pass vorliegt. Ausgestellt wird sie immer nur für ein paar Monate. Im Land Bremen leben über 2.000 Menschen mit einer Duldung, manche seit Jahren. Für sie gilt die Residenzpflicht, sie dürfen den Landkreis nicht verlassen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist unter den Bedingungen schwierig – wenn die Behörde überhaupt eine Erlaubnis erteilt, denn für Arbeitsstellen haben Deutsche Vorrang.
„Wir bieten die Chance für ein dauerhaftes Leben in Deutschland“, sagte Innensenator Mäurer damals. Ein Hintergrund für den Erlass waren Fälle von Täuschung über die Staatsangehörigkeit bei der Einreise, um einer Abschiebung zu entgehen. Bekamen die Behörden Wind von einer falschen Angabe, so stand dies dem Bleiberecht entgegen – auch für die Kinder. Sie wurden für die falschen Angaben ihrer Eltern bestraft. In Bremen machten solche Fälle unter dem Begriff „Scheinlibanesen“ Schlagzeilen. Deren Kindern vor allem sollte der Bremer Erlass zugute kommen, von „Täuschung“ als Hindernis war darin deshalb keine Rede. „Auch die Eltern konnten so einen Aufenthaltsstatuts bekommen, abgeleitet von dem ihrer Kinder“, so Casper. Im Bundesgesetz taucht „Täuschung“ als Ausschlussgrund nun wieder auf. Eltern, die vor Jahren bei ihrer Einreise falsche Angaben über ihre Staatsangehörigkeit gemacht hatten, bleiben nur „geduldet“.
Nach Auskunft der Leiterin des Stadtamtes, Marita Wessel-Niepel, hat die Ausländerbehörde bisher 220 Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf Grund des Bremer Erlasses einen Aufenthaltsstatus gewährt. 270 Anträge werden noch bearbeitet. Für sie könnte das Inkrafttreten des Bundesgesetz seit dem ersten Juli Probleme bringen – obwohl die Anträge bereits vor Wochen gestellt wurden. Denn ausschlaggebend ist die rechtliche Lage zum Zeitpunkt der Entscheidung, erklärt der Sprecher des Innensenators: „Der Paragraph ‚25a‘ ersetzt für Kinder in der praktischen Auswirkung seit dem 1. Juli den Bremer Erlass.“
Allerdings bestehen Spielräume. Die Bremer Linksfraktion fordert, dass der Bremer Erlass für die alten Antragsteller weiter umgesetzt wird. „Es kann verfügt werden, dass Anträge, die bis zum ersten Juli gestellt wurden, noch nach der alten Regelung beurteilt werden“, so die Sprecherin der Linksfraktion, Doris Achelwilm. Das Bundesgesetz spart zudem die unter 14-Jährigen und die über 21-Jährigen aus – für diese Gruppen könne es einen neuen „Bremer“ Erlass geben.