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Archiv-Artikel

Griechen lassen Berliner schmoren

Seit vier Monaten sitzt Timo B. in Griechenland in Untersuchungshaft. Er soll sich an gewaltsamen Protesten von Studierenden beteiligt haben. B. bestreitet dies. Eine Initiative demonstrierte gestern vor der griechischen Botschaft für seine Freilassung

VON FELIX LEE

Eigentlich wollte der Berliner Timo B. nur ein paar Urlaubstage in Thessaloniki verbringen und dort einen Freund besuchen. Doch seit dem 20. Februar sitzt er in Griechenland in Untersuchungshaft. Der „Kurzurlaub“ geht in den vierten Monat.

Gestern haben vor dem griechischen Konsulat in der Jägerstraße rund 150 Menschen für die Freilassung des 31-Jährigen demonstriert. Dem Kfz-Mechaniker wird vorgeworfen, am 20. Februar bei StudentInnenprotesten Mülltonnen in Brand gesetzt zu haben. Zudem soll er Molotowcocktails geworfen und bei seiner Festnahme Widerstand geleistet haben.

Timo B. bestreitet die Vorwürfe. Über seinen griechischen Anwalt hat er Haftprüfung beantragt. Ende der Woche will das Bezirksgericht von Thessaloniki über seine weitere Haftzeit entscheiden. In Griechenland kann die Untersuchungshaft auf bis zu 18 Monate ausgedehnt werden.

Unterstützung erhält Timo B. auch von der Berliner Linkspartei. „Es ist rechtswidrig, dass er nur auf Grundlage der fragwürdigen Aussagen zweier Polizisten immer noch in griechischer Untersuchungshaft ist“, erklärte die Abgeordnete Evrim Baba gestern. Sie forderte den deutschen Botschafter in Griechenland auf, sich für die Freilassung des Berliners einzusetzen.

Laut seinem Anwalt Wolfgang Kaleck war der 31-Jährige am Tag seiner Festnahme erst vier Tage in der ostgriechischen Hafenstadt. Außer seinem Gastgeber habe er niemanden gekannt. Am Abend habe er ein Konzert besucht, das im Rahmen der Proteste an der Universität stattfand. Dort soll er einige der Veranstalter kennengelernt und beim Auf- und Abbau der Musikanlage geholfen haben. Im Laufe der Nacht kam es zwischen BesucherInnen des Konzerts und der Polizei zu schweren Auseinandersetzungen. Timo B. und andere hätten versucht, das Gelände zu verlassen, so Kaleck.

Timo B. gehe es „den Umständen entsprechend okay“, sagte Michael Sorge vom Asta der Freien Universität, der Timo B. im Rahmen der Solidaritätsgruppe „Unistreik International“ von Berlin aus unterstützt. Allerdings habe es Ende April im Gefängnis Komotini, in dem Timo B. zunächst einsaß, eine Häftlingsrevolte gegeben. Er sei dabei „notgedrungen“ mit anderen Gefangenen aufs Dach geklettert, sagte Sorge. Dafür werde er zwar bislang nicht belangt, zwei Wochen nach dem Aufstand sei er jedoch in das Hochsicherheitsgefängnis Diavata verlegt worden.

Dort seien die Haftbedingungen erheblich schlechter, berichtet Sorge. Bücher, Bilder und Briefe, die er in Komotini empfangen durfte, wurden beschlagnahmt. Nun erreichten ihn die Briefe nur noch in unregelmäßigen Abständen. Zudem sei er in Diavata Schikanen seitens der Vollzugsbeamten und Mithäftlinge ausgesetzt, die „mehr als gewöhnliche Kriminelle“ seien.

Seit über einem Jahr finden in Griechenland Proteste im Bildungssektor statt. Lehrende und Lernende protestieren gegen Pläne der Regierung, das griechische Bildungswesen verstärkt zu privatisieren. Zunächst traten im vergangenen Jahr ProfessorInnen und StudentInnen in Streik, später schlossen sich auch LehrerInnen und SchülerInnen an. Auf dem Höhepunkt der Proteste waren landesweit fast 1.000 Schulen besetzt. Die Privatisierungspläne gehen auf eine EU-Initiative zurück, die im Rahmen des „Bologna-Prozesses“ das Ziel hat, mehr Wettbewerb im Bildungssystem zu schaffen.