: „Die Leute werden unter Druck gesetzt“
LOHNDUMPING Durch die Ausbeutung der Werkarbeiter hat die deutsche Fleischindustrie ihren Umsatz verdoppelt, sagt der Oldenburger Gewerkschaftssekretär Matthias Brümmer
■ 54, ist Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in der Region Oldenburg-Ostfriesland. Er ist Experte für die Fleischindustrie.
taz: Wie hat sich die Fleischbranche in den letzten 15 Jahren entwickelt?
Matthias Brümmer: Bis in das Jahr 2000 spielte die deutsche Fleischindustrie im Prinzip keine Rolle auf dem europäischen Markt. Wir konnten uns knapp selbst versorgen, waren in vielen Bereichen aber auch auf Import angewiesen. Seit dem Jahr 2000 ist die Branche dann umsatzmäßig explodiert.
Welche Rolle spielen dabei die sogenannten Werkverträge?
Man fing damit an, Kolleginnen und Kollegen aus Osteuropa zu holen und sie im Rahmen von Werkverträgen regelrecht auszubeuten. Zu billigsten Löhnen hat man sich so einen Wettbewerbsvorteil erhascht. Der hat dazu geführt, dass wir von einer Verdoppelung des Umsatzes von knapp 20 auf 40 Milliarden Euro innerhalb der letzten 10 bis 15 Jahre reden. Dadurch sind andere Länder unter Druck geraten. Dazu gehören Frankreich, Schweden, Belgien und die Niederlande. Die haben Kapazitäten abgebaut in ihrer Fleischproduktion.
Was für eine Auswirkung hat das auf die Belegschaften in deutschen Schlachthöfen?
Die Werkverträge haben dazu geführt, dass alle Schlachthof-Betreiber sich bis zu 90 Prozent ihrer Belegschaften entledigt haben und nur noch einen ganz kleinen eigenen Stamm besitzen. Sie sind für 90 Prozent der Beschäftigten gar nicht mehr zuständig. Um die kümmern sich jetzt die Subunternehmer. Die vereinbaren festgelegte Quoten für bestimmte Tätigkeiten wie das Abtrennen von mehreren tausend Schinken. Für jede Einheit gibt es nur minimale Geldbeträge. Damit kommen die Subunternehmer wahrscheinlich gerade so über die Runden. Deswegen führt das in der Konsequenz immer zu Lohndumping.
Seit August dieses Jahres gibt es einen Mindestlohn. Die Branche muss nun 7,75 Euro in der Stunde zahlen. Wird jetzt endlich alles gut?
Also 7,75 Euro bedeutet für viele Kollegen und Kolleginnen beispielsweise in der Geflügelwirtschaft und in den anderen Zerlegebereichen eine erhebliche Aufwertung ihres Einkommens. Es bedeutet auch, dass die Unternehmen zukünftig mehr für ihre Leistungen bezahlen müssen. Es ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss, es ist noch nicht das, was gerecht ist. Aber es ist der erste Schritt, um wenigstens mal ein Minimum an Gerechtigkeit in diesem Land zu bekommen.
Nun gibt es aber Möglichkeiten, Mindestlöhne zu drücken. Wie funktioniert das?
Wir haben bereits die ersten Entwicklungen. Es ist so, dass Kollegen 173 Stunden bezahlt bekommen, also die 40-Stunden-Woche. Tatsächlich arbeiten die aber bis zu 260 Stunden. Das drückt natürlich den Lohn. Dann wird natürlich versteckt auch nach Akkord gearbeitet. Zum Beispiel wird gesagt: ‚790 Schweine musst du in der Stunde schlachten, dafür bekommst du dann acht Euro.‘ Tatsächlich wird aber die Band-Geschwindigkeit im Höchstfall auf 740 gestellt. Das heißt, wenn ich auf meinen Mindestlohn kommen will, muss ich schon mal länger arbeiten.
Vielen Arbeitern und Arbeiterinnen wird auch noch etwas vom Nettolohn abgezogen. Welche Strategie steckt dahinter?
Ja, über sogenannte Netto-Abzüge wird tatsächlich versucht, eine ganze Menge Geld zu generieren. Wir reden über Transport von der Arbeit zum Wohnheim. Wir reden über Messerpfandgeld. Beschäftigte müssen 80 bis 90 Euro jeden Monat abdrücken, weil sie zum Schlachten ein Messer des Subunternehmers benutzen. Dann müssen Sie die Arbeitskleidung bezahlen, selbst die Reinigung. Da laufen die größten Sauereien, nach wie vor. Außerdem zahlen die Kollegen und Kolleginnen hohe Mieten für Betten in Massenunterkünften, 200 bis 300 Euro im Monat.
Über die Mieten werden also auch die Löhne gedrückt?
Ja natürlich. Weil die Kollegen und Kolleginnen das immer an den Subunternehmer zurückzahlen.
Können Sie genau erklären wie das funktioniert?
Also die Häuser gehören in der Regel irgendjemandem, der als Investor auftaucht. Meistens sind das Bürger aus der näheren Umgebung. Die vermieten das dann an den Subunternehmer und der vermietet dann einzelne Betten an die Beschäftigten weiter. Die Kosten dafür werden direkt vom Lohn abgezogen.
Sie sprechen oft von mafiösen Strukturen, in denen sich die Werkarbeiter bewegen müssen. Was genau meinen Sie damit?
Wir sehen in vielen Bereichen, dass immer wieder das gleiche abläuft: Es werden nicht die korrekten Löhne bezahlt. Die Arbeitszeiten sind horrende, die Unterkunft ist eine Katastrophe. Die Leute werden unter Druck gesetzt, sie werden auch körperlich bedroht, wenn sie das nicht machen, was ihnen vorgeschrieben wird. Sogar ihre Familien werden unter Druck gesetzt. Darin sind auch Rockerbanden verstrickt. Und die kommen nicht, weil man ansonsten kein Personal findet. Die machen sich in einem solchen Gewerbe breit, weil sie dort richtig Geld verdienen können. Und dann reden wir über organisierte Kriminalität, das kann man mit Fug und Recht sagen. INTERVIEW: JAKOB EPLER