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Archiv-Artikel

Eine eigene Form der Energie

LEBENSFORMEN In dem Mehrgenerationenhaus „Luzie“ wohnen ausschließlich Frauen, darunter auch Lesben. Sie fühlen sich hier in besonderer Weise angenommen

In anderen Häusern fühlte sich das lesbische Paar auch akzeptiert – aber das Andere haftete an der Familie

VON VIVIANE PETRESCU

Drei Sofas, ein blaues aus Samt, ein braunes aus Leder und eines aus blau-weiß gestreiftem Baumwollstoff, bilden den zentralen Ort des Frauen-Wohnprojektes „Luzie“. Hier kommen die Bewohnerinnen zusammen, um ihre Sorgen zu teilen, von der Anti-Atom-Bewegung damals und heute zu erzählen oder gemeinsam die Frauen-WM zu verfolgen.

Das Mehrgenerationenhaus „Luzie“ wurde auf dem Gelände des ehemaligen Anzuchtgartens des Ohlsdorfer Friedhofs gebaut und ist Teil des Gofi-Wohnprojektes. Gofi steht für „Gruppenorientierte Finanzierung“. Insgesamt wohnen 60 Erwachsene und 20 Kinder in der Interessengruppe.

Warum eines der beiden Häuser nur Frauen beheimatet, weiß keine mehr – sicher ist trotzdem: Es soll so bleiben. „Wir Frauen haben einfach unsere eigene Form der Energie“, findet Alexandra Bossen, eine Bewohnerin. Außerdem sei es schön, wenn sich die verschiedenen Frauengenerationen voneinander erzählten.

Thea Decker hat zum Beispiel in den 80er Jahren die zweite Frauenwoche in Hamburg mitorganisiert, eine Möglichkeit für Frauen, über ihre Forderungen an die Männerwelt zu diskutieren. Wenn in den Nachrichten über Frauenquoten berichtet wird, kann die 71-Jährige erzählen, wie sich Frauen früher behaupteten.

Neben ihr sitzt jetzt Nathalie, elf Jahre alt und eine der jüngsten Bewohnerinnen. Nathalie erzählt, dass sie in dem Haus voller Frauen „einfach alles mag“, vor allem, wenn gegrillt werde oder die Erwachsenen beim Kaffee klönten. Während sie spricht, streicht ihr Thea Decker über den roten Bubikopf.

Die Seniorinnen des Hauses spielen manchmal „Oma“ und passen auf die Kleinen auf, wenn die Mütter arbeiten oder Besorgungen machen. Dafür helfen die Jüngeren ihnen, wenn es mit den Einkäufen schwierig wird. „Wir übernehmen gegenseitig Alltagshilfen füreinander“, sagt Alexandra Bossen.

Ein Haus nur für Frauen – das kann auch zu Verwirrung führen: Wenn Brüder zum Beispiel überlegen, ob sie ihre Schwester besuchen dürfen. „Es ist kein Problem, wenn uns hier Männer besuchen“, sagt Doris Hilgert, Nathalies Mutter. Auch ihre Eltern seien unsicher gewesen. Beim ersten Besuch hätten sie sich dann aber willkommen gefühlt.

Die Idee für das Projekt kam von zwei Freundinnen, die abends zusammensaßen und überlegten, wie sie im Alter wohnen wollen. Schnell war klar: nicht allein. Ein zwangloser Verband von vier bis acht Frauen begab sich dann auf die Suche nach einem geeigneten Grundstück. Bei den Hamburger Wohnprojektetagen stießen sie auf die Gofis und die beiden Gruppen schlossen sich zusammen.

Während die Gründungsgruppe komplett aus lesbischen Frauen bestand, ist die Wohngemeinschaft heute durchmischt. Der Wille, lesbischen Frauen einen geschützten Raum zu geben, blieb aber bestehen.

„Ich wollte mich nicht mehr erklären müssen, sondern in meinem Lebensstil ganz selbstverständlich aufgenommen werden“, sagt Doris Hilgert. Bevor sie eine „Luzie“ wurde, hat sie schon in anderen Wohnprojekten gewohnt. Dort fühlte sie sich mit ihrer Lebenspartnerin und den zwei Kindern auch akzeptiert – aber das Andere haftete immer an der Familie. In dem weiblichen Mehrgenerationenhaus sei das anders.

„Alle können hier sein, wie sie eben sind“, versichert Alexandra Bossen. In dem Gemeinschaftshaus übernehme jede die Aufgaben, die ihr liegen. Entschieden werde gemeinsam: „Wir haben hier zum Glück keine Alpha-Tiere“, sagt Bossen. Streitigkeiten gebe es höchstens auf der persönlichen Ebene – wie es unter Menschen eben von Zeit zu Zeit vorkomme.

„Die Frage, wie viel Nähe und wie viel Distanz ich möchte, muss erst abgewogen werden“, sagt Michaela Hans. Wie viel es an Miteinander gibt, werde sich auch im Laufe der Zeit herausstellen. Zwar seien die ersten Bewohnerinnen schon 2009 eingezogen, bis vor zwei Wochen musste in der Neubausiedlung aber Baulärm ertragen werden. „Das hat uns bisher noch manchmal eingeschränkt“, sagt Manuela Hans.

Inzwischen sei sie aber begeistert von der „ansteckenden Kreativität“, die unter den Bewohnerinnen um sich greife. Bei den gemischten Gofis übe mittlerweile der Mehrgenerationen-Chor – dort steht ein Klavier. Als vor Kurzem zwei „Luzies“ heirateten, haben alle gemeinsam Hochzeitslieder einstudiert.